Blickpunkt:Film

Produktion

Mit ["Spides"](/tvshow/spides) startet heute abend beim SyFy Channel eine außergewöhnliche Science-Fiction-Serie. In einem Gastbeitrag argumentiert Showrunner [Rainer Matsutani](/person/rainer-matsutani), dass Genrestoffe dennoch weiterhin unterrepräsentiert sind in der deutschen Filmindustrie.


In unserer TV-Serie "Spides" wird die Geschichte einer Unterwanderung Berlins durch eine außerirdische Macht mit Hilfe einer Clubdroge erzählt. Diese enthält Alien-DNA und ergreift von den Seelen der jugendlichen Konsumenten Besitz. Die junge Nora ([Rosabell Laurenti Sellers](/person/rosabell-laurenti-sellers)) und ihre Freunde sowie zwei Polizisten ([Florence Kasumba](/person/florence-kasumba) und [Falk Hentschel](/person/falk-hentschel)) nehmen den Kampf gegen die Eindringlinge auf. Bald muss Nora erfahren, dass sie der Schlüssel zur Invasion ist, gegen die sie kämpft.


Basierend auf dieser Grundidee und mit der Unterstützung vom Medienboard Berlin-Brandenburg, die die Einrichtung eines Writers Rooms ermöglichte, entwickelte ich mit den Autoren acht fertige Scripts. Dazu drehten Produzent [Alexander Kiening](/person/alexander-kiening), Co-Regisseur Joern Heitmann und ich ein aufwändiges Trailer-Testimonial mit deutschen Schauspielern. Mit den Drehbüchern und Testimonial im Gepäck klopften wir anschließend bei jedem deutschen Fernsehsender an. Es hagelte Absage auf Absage. Die Formulierungen in den Briefen waren höflich und hoben die Originalität der Idee und die Besonderheit des Genres hervor. Aber alle hatten zwischen den Zeilen dieselbe Botschaft: zu sehr Genre und daher zu sehr Nische. Nichts für den Sender und nichts für Deutschland.


Woher kommt hierzulande das Fremdeln mit dem Genre-Metier (mit dem Begriff "Genre" definiere ich Science-Fiction, Fantasy, Action und Horror)? Seit meinem Debütfilm, der Fantasy-Komödie ["Nur über meine Leiche"](/movie/nur-ueber-meine-leiche) (1995), und anderen Ausflügen in das "Übernatürliche" gelte ich mit einigen wenigen anderen Genrekollegen als Außenseiter - in einer Branche, die sich im Kino fast ausschließlich auf Beziehungskomödien und Kinderfilme und im TV auf Krimis eingeschossen hat. Doch ein Blick auf die Liste der derzeit erfolgreichsten 100 Filme aller Zeiten zeigt, dass nahezu 95 Prozent der Filme den obigen, in Deutschland tunlichst vermiedenen Genres Fantasy, Science-Fiction und Action zuzuordnen sind. Ich habe in der Vergangenheit oft das Gespräch mit Redakteuren und Förderungen gesucht und auf dieses merkwürdige Missverhältnis hingewiesen. Entweder wurden die Frage und die damit schmerzende Wahrheit einfach ignoriert oder man redete sich heraus, dass die Amerikaner eben schwindelerregende Budgets zur Verfügung hätten. Dabei übersieht man gern die Tatsache, dass in Ländern wie z.B. Frankreich, England, Spanien, Japan, Südkorea eine muntere und erfolgreiche Genrefilm-Kultur lebt. Ob Action, Horror oder Science-Fiction: Immer wieder kamen aus diesen Ländern innovative Filme und halfen, den heimischen Marktanteil gegenüber dem US-Blockbusterkino zu verteidigen.


Das seit Jahrzehnten jämmerliche Nischendasein des Genrefilms in Deutschland hat meiner Ansicht zwei Ursachen. Zum einen haben wir eine besondere kulturgeschichtliche Tradition, die sich tief in die deutsche Mentalität eingebrannt hat. Die deutsche Literatur zum Beispiel war nie auf Entertainment und Handlungsstärke ausgerichtet. In den Werken deutscher Autoren diente Handlung eher als Gerüst für kulturphilosophische Abhandlungen und deren Protagonisten neigten weniger zum Handeln als zum Reflektieren. Ganz im Gegensatz zum angelsächsischen Helden. Denken Sie nur an die spektakulären Shakespeare-Dramen oder die Hemingway-Romane und vergleichen Sie deren Protagonisten mit denen von deutschen Autoren von Goethe bis Grass. Ein angelsächsischer Held wie Hamlet mag zwar auch reflektieren ("Sein oder nicht sein"), aber er zieht am Ende die Konsequenzen, trifft riskante Entscheidungen und lässt es am Ende krachen. Auch die Helden in Fantasyspektakeln, Science-Fiction-Filmen oder Actionfilmen haben oft übermächtige Gegner und müssen physisch agieren, um zu überleben. Diese Art der zupackenden Problembewältigung ist in Deutschland eher verpönt. Dementsprechend hat das Genrekino in Deutschland immer den Anstrich von "Schund". Dabei wird übersehen, dass selbst in amerikanischen Dramen wie z.B. ["American Beauty"](/movie/american-beauty) oder ["Three Billboards outside Ebbing, Missouri"](/movie/three-billboards-outside-ebbing-missouri) die Protagonisten zahlreiche Entscheidungen fällen, um eine Zuspitzung herbeizuführen. Im Vergleich dazu ergötzt sich der Hauptcharakter in einem deutschen Film an der Situation, redet viel und leidet bedeutungsschwer. Auch dem geduldigsten Redakteur dämmert dann irgendwann, dass das ein bisschen langweilig ist und fordert dann im Drehbuch "mehr Konflikt", was dazu führt, dass die Protagonisten in ihren Dialogen noch mehr reden und sich viele Vorwürfe machen - statt die Situation zupackend zu ändern.


Der zweite Grund für die deutschen Genre-Allergie hat in der jüngeren deutschen Geschichte seine Wurzeln. Im Dritten Reich haben die Nazis Mythen und mythische Symbole aufs Äußerste missbraucht, um den Deutschen ihre heldenhafte Arier-Überlegenheit einzutrichtern. Germanische Götter und Sagen, Fackelzüge, verpackt in strotzenden Arno-Breker-Muskeln und viel aggressivem Pathos, diktierten einen gewaltigen Mythenaufmarsch, der auf emotionale Aufstachelung bedacht war. Um die Welt mit Krieg und Völkermord an den Juden zu überziehen, wie es sich dann herausstellte. Nach dem Desaster des Zweiten Weltkrieges und den unsäglichen Verbrechen im Zeichen des Hakenkreuzes entschlossen sich die Deutschen, kein mythisches Gedankengut mehr in ihre Gefühlswelt reinzulassen. Nie wieder sollten sie durch heroisches Brimborium manipuliert werden! Die Deutschen mauserten sich zu rationalen, braven und humanen Kopfwesen. Dermaßen zurechtgestutzt tut man der Welt nicht weh und trägt viel Schuld ab.


Doch damit wurde jedoch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Denn Mythen und klassische Heldenreisen gehören zur seelischen DNA der Menschheit. Ob Romulus und Remus, Odysseus, König Artus oder die germanischen Götter: Mythen geben dem Sein eines Volkes eine sinnlich erfahrbare Begründung ihrer Existenz. Sie glorifizieren die eigene Genese, liefern Sinn und Selbstbewusstsein - und zwar in Form von Heldenepen. Und die funktionieren eben nun mal auf der emotionalen Ebene über die Identifikation mit einem Helden, der allergrößte Hindernisse überwindet und dann zum großen Religionsstifter, Staatsgründer oder zumindest archetypischen Vorbild wird. Der Anthropologe Joseph Campbell hat ein legendäres Buch darüber geschrieben: "Hero with a Thousand Faces". Er beschreibt darin, wie dieselben mythischen Grundmuster in vielen Völkern der Vergangenheit und Gegenwart sich immer und immer wieder wiederholen. [George Lucas](/person/george-lucas) war übrigens ein begeisterter Leser dieses Buches, hat danach sein "[Star Wars](/movie/krieg-der-sterne)"-Universum geschaffen, und auch die amerikanischen Drehbuch-Gurus schöpfen immer wieder aus dieser Quelle und nennen es die "Heldenreise". Die erfolgreichste Mythenmaschinerie der Welt ist zweifellos das Hollywoodkino. Oben erwähnte Liste der erfolgreichsten 100 Filme aller Zeiten sind fast alles amerikanische Filme mit klassischen Mythen und Märchen in moderner Form: "[Avengers](/movie/marvels-the-avengers)", ["Avatar"](/movie/avatar-aufbruch-nach-pandora), ["Der Herr der Ringe"](/movie/der-herr-der-ringe-die-gefaehrten), "[Fast & Furious](/movie/the-fast-and-the-furious)", "[Harry Potter](/movie/harry-potter-und-der-stein-der-weisen)" und die Pixar-Filme. Die Amerikaner haben selbst keine Scheu, germanische Götter zu Superhelden zu recyclen und zur erfolgreichen Serie auszubauen: Zuletzt schwang der germanische Gott Thor seinen Hammer im erfolgreichsten Film aller Zeiten, ["Avengers: Endgame"](/movie/avengers-endgame).


Auch bei "Spides" traten wir mit einem hammermäßigen Befreiungsschlag die Flucht nach vorne an: Nach all den Absagen ließen wir die Bücher ins Englische übersetzen und suchten über einen Weltvertrieb das Heil im Ausland. Palatin-Media-Chef [Bernd Schlötterer](/person/bernd-schloetterer) nahm sich der Serie an, besorgte Investoren und stellte den Kontakt zu NBC Universal in LA bzw. London her, die sehr schnell grünes Licht für "Spides" als englischsprachige Serie gaben. Schließlich kam noch die VFX-Firma Baby Giant Hollyberg mit Bord, die als Koproduzent den hohen Anteil an Visual Effects übernahm. Gedreht wurde ausschließlich in Berlin mit internationalem Cast aber auch vielen deutschen Schauspielern. Irgendwie schafften wir so doch unser "Genre made in Germany". "Spides" wird ab 5. März auf dem SYFY-Channel in Deutschland aber auch weltweit in vierzig anderen Ländern laufen.


Ich werde weiterhin um gute Genrefilme in Deutschland kämpfen. Das ist kein hoffnungsloses Unterfangen mehr. Die junge Generation an Filmemachern hat keinerlei Berührungsängste mit Science-Fiction, Horror und Fantasy. Mehr und mehr Filmhochschüler wenden sich in ihren Kurzfilmen thematisch dem Genrefilm zu. Auch die Verantwortlichen in den Redaktionen und Fördergremien beginnen sich zu öffnen. Sogar erste Entwicklungsaufträge von öffentlich-rechtlichen Sendern für Serien mit Horrorelementen treffen ein. Allerdings mit einer Bedingung: "Bitte nicht zu viel Horror!" Nun ja, aller Anfang ist schwer.

Gastkommentar Rainer Matsutani: Genrewüste Deutschland!