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Kino

"Star Wars": Die Nummer 1 und die Folgen

Am 20. Tag der Auswertung hat "Star Wars: Das Erwachen der Macht" das Unglaubliche geschafft und "Avatar - Aufbruch nach Pandora" mit nunmehr mehr als 760 Mio. Dollar Einspiel als umsatzstärksten Film aller Zeiten am nordamerikanischen Kinoboxoffice abgelöst. Der Erfolg wird die Branche grundlegend verändern. Eine Anaylse.

Thomas Schultze07.01.2016 07:08
"Star Wars: Das Erwachen der Macht" ist jetzt schon umsatzstärkster Film in den US-Kinos aller Zeiten
"Star Wars: Das Erwachen der Macht" ist jetzt schon umsatzstärkster Film in den US-Kinos aller Zeiten Walt Disney

Gamechanger. So nennt man im dynamischen Neusprech des jungen Hollywood jene Filme, die für eine nachhaltige Erschütterung in der Macht sorgen - pardon: die die bisher geltenden Regeln der Kinoauswertung komplett auf den Kopf stellen. George Lucas' "Krieg der Sterne" war im Jahr 1977 ein solcher Gamechanger, der die Tradition des Sommerblockbusters begründete. "Der weiße Hai" von Steven Spielberg hatte zwei Jahre davor die nötige Vorarbeit geleistet, als erster Film, der in mehr als 500 Kinos gleichzeitig gestartet wurde und dann die Sommerferien nutzte, um seine Umsätze zu maximieren. Die Blaupause für das Kino der Zukunft schuf indes George Lucas, als er seine einstmals hoch gesteckten künstlerischen Ideale über Bord warf und Elemente aus "Der Herr der Ringe", Märchen, der Sagenwelt, alten Science-Fiction-Serials und Kurosawas "Die verbor­gene Festung" zu einem familientauglichen Gebräu zusammenwarf, das veränderte, wie Filme vermarktet und ins Kino gebracht und erzählt und gemacht werden.    38 Jahre später ist es wieder ein Film aus Lucas' "Star Wars"-Kosmos, der alles verändert, der Beginn der dritten Trilogie und der erste Titel des wertvollsten Franchise der Filmgeschichte, seitdem Lucasfilms mit all seinen Titelrechten für vier Mrd. Dollar in den Besitz von Disney überging: Nach nicht einmal drei Wochen zum All-Time-Umsatzkönig in den USA aufzusteigen und weltweit bereits auf Platz vier zu rangieren, ist noch nie einem Film gelungen.  Auf einmal sieht George Lucas' Lebenswerk, das weltweit mit nur sechs Filmen allein im Kino knapp fünf Mrd. Dollar erwirtschaftete, aus wie ein kleiner Ein-Mann-Betrieb. "Das Erwachen der Macht", überwacht von der langjährigen Lucas- und Spielberg-Weggefährtin Kathleen Kennedy und kreativ gesteuert von J. J. Abrams, fegt Rekorde in einer Geschwindigkeit beiseite, dass es unausweichlich erscheint, dass sich das Kinogeschäft im Sog einmal mehr verändert.    "Episode VII" ist vorläufiges Ende und Höhepunkt einer Entwicklung, die 2001 begann, als "Der Herr der Ringe" und "Harry Potter" neue Maßstäbe setzten, was Filmfranchises an Dynamik an der Kinokasse und darüber hinaus entwickeln können, wenn sie über einen Titel hinaus professionell und minuziös geplant und durchgeführt werden. Darauf fußt mittlerweile das gesamte Geschäft der Studios, die buchstäblich Konzerne geworden sind, in denen Erfolgskonzepte konzipiert und im Stil industrieller Manufaktur umgesetzt werden. Neue Maßstäbe bei diesem Erfolgsprinzip setzten zwischendurch die "Pi­rates of the Caribbean"-Filme, die neu aufgesetzten "Batman"-Filme, James Camerons "Avatar" und die Erfolgsphilosophie von Marvel. Aber sie alle verblassen gegen die Erfolgsmaschine von "Star Wars". Da spielt es keine Rolle, ob man den Film gelungen oder nicht, gewagt oder nicht, frisch oder nicht ­findet. Er ist eine Wunscherfüllungsmaschine, die exakt die Bedürfnisse seines Publikum befriedigt und auch sonst keine anderen Bestrebungen hat.    Das ist der Unterschied zu den bisherigen erfolgreichsten Filmen aller Zeiten, die es in den letzten 40 Jahren gegeben hat, der Unterschied zu "Avatar", zu "Titanic", zu "E.T." und, ja, zu "Krieg der Sterne". Wie die "Batman"-Trilogie von Christopher Nolan, die "Pirates of the Caribbean"-Filme von Gore Verbinski oder die "Herr der Ringe"-Filme von Peter Jackson waren sie Filme mit einer persönlichen Handschrift, einer künstlerischen Vision. "Star Wars" dagegen ist Maschinenbau vom Feinsten, hergestellt von den Besten ihres Fachs, aber frei von persönlichem Ausdruck - auf gut Deutsch: genau das, was "Star Wars" in seinem Bemühen, bloß nichts falsch zu machen, in kommerzieller Hinsicht alles richtig gemacht hat. Es ist auch keine ganz neue Entwicklung: "Jurassic World" - kurioserweise produziert von Kathleen Kennedys Ehemann Frank Marshall - erschien im Sommer wie eine Generalprobe, ein Trockenlauf für "Star Wars", der im Grunde schon einmal exakt vorexerzierte, was das große Ereignis im Dezember dann mit noch gewaltigerem Ergebnis nachgezeichnet hat. Und schon den Marvel-Filmen aus dem "Avengers"-Universum ist kein eindeutiger Mastermind mehr zuzuordnen, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Der Filmemacher ist obsolet in diesen neuen Kinowelten, in denen Showrunner die großen Handlungsbögen im Auge und die Studios die Kontrolle über jedes einzelne bewegliche Teil haben.    Anachronistisch muten die Unkenrufe der letzten Jahre an, die bei jedem misslungenen Big-Budget-Versuch der Studios ("Lone Ranger", "John Carter", "Battleship") anhoben und das Ende Hollywoods prophezeiten. Natürlich werden nach "Star Wars: Das Erwachen der Macht" die Risiken nicht geringer. Aber die Aussichten, in bislang völlig ungeahnte neue Boxoffice-Sphären vorstoßen zu können, wird das Franchise-Geschäft noch weiter beschleunigen. Weil auch die Erkenntnis herrscht, dass die Marke "Star Wars" nicht allein für den Erfolg zuständig ist. Tatsächlich haben Verleiher und Kinos seit den Tagen von "Herr der Ringe" gelernt, die Auswertungsmöglichkeiten zu optimieren. Die großen Filme drängen sich nicht mehr allein um wenige traditionell starke Starttermine im Sommer, an Thanksgiving und um Weihnachten, sondern werden gleichmäßig über das gesamte Jahr ausgewertet. Und man hat gelernt, dass nicht mehr der einst tradierte "Krieg der Sterne"-Starttermin Ende Mai am Memorial-Day-Weekend der beste Termin des Jahres ist, sondern das Wochenende vor Weihnachten. An diesem Wochenende sind "Titanic" und "Avatar" gestartet und jetzt auch "Das Erwachen der Macht", der Film, der seinen Urschöpfer widerlegt hat, der noch vor ein paar Jahren prohpezeite, dass Hollywood auf eine Klippe zusteuere, wenn es sein Blockbuster-Denken beibehält. George Lucas hatte unrecht. Die goldene Zeit des Kinos liegt vor uns. Auch wenn nicht alle profitieren werden können von den neuen Spielregeln.     Thomas Schultze

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