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Kino

Die aufwändige Entstehung von "Königreich der Himmel"

Ridley Scott und sein Team mussten fast einen eigenen Kreuzzug führen, um "Königreich der Himmel" realisieren zu können. Um der Authentizität willen ließ der "Gladiator"-Regisseur Städte aus dem Wüstenboden stampfen und 30.0000 Komparsen aufmarschieren.

rüst27.04.2005 14:57
Bis zu 30.000 Komparsen waren bei den Schlachtenszenen im Einsatz
Bis zu 30.000 Komparsen waren bei den Schlachtenszenen im Einsatz

"Das Leben ist doch unfair", klagt Produzent Mark Gordon. Vor drei Jahren brachte er nicht nur das Drehbuch "Tripoli" von William Monahan bei Fox unter, sondern gewann auch Ridley Scott als Regisseur. Die Geschichte eines amerikanischen Seemanns, der von afrikanischen Piraten gefangen genommen wird und in die Machtkämpfe im Libyen des 19. Jahrhunderts gerät, las sich wie ein idealer Kinostoff. Der Regisseur scoutete schon nach Drehorten in Marokko, als das Projekt gestoppt wurde. Im Jahr des zweiten Golfkriegs war eine Produktion an diesen Schauplätzen ein zu hohes Risiko. Doch Scott war von seinem Autor so begeistert, dass er ihn für ein altes Traumprojekt anheuerte: eine Geschichte über die Kreuzzüge. Als "Königreich der Himmel" 2003 an den Start ging, waren alle Beteiligten an Bord - bis auf Gordon. Monahan hatte das Sujet noch vor seinem Auftrag für sich entdeckt. Vor Jahren war er auf die Figur Balduins IV. gestoßen, des leprakranken Königs von Jerusalem, der während seiner Regentschaft einen fragilen Frieden mit den Moslem-Herrschern bewahrte. Sein cineastisches Vorbild für "Königreich der Himmel" wurde der große Klassiker "Lawrence von Arabien". Aber er bezog seine Inspiration auch aus Peter Ustinovs Melville-Verfilmung "Die Verdammten der Meere": "Dadurch erkannte ich, dass ein Film die gleichen Qualitäten wie ein Roman haben kann. Für mich ist Kino letztlich nur eine erweiterte Form von Literatur."

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Aber eine Form, die ungleich mehr kostete. Rund 130 Mio. Dollar musste Fox in das historische Panorama des Jahres 1196 investieren. Bei den Vorbereitungsmeetings stellten die ausführenden Produzenten Branko Lustig und Terry Needham, die mit Scott bei "Gladiator" und "Black Hawk Down" zusammengearbeitet hatten, sicher, dass überflüssige Einstellungen entfielen. Einige Sequenzen aus Monahans Skript wie eine Burgbelagerung und der Großteil einer Schlacht, wurden frühzeitig gestrichen, auch aus dramaturgischen Gründen. Zudem wurden ausländische Koproduzenten wie Studio Babelsberg an der Finanzierung beteiligt, um steuerliche Vorteile zu nutzen.

Die Herausforderungen waren aber nicht nur finanzieller, sondern auch konzeptioneller Natur. Glaubwürdige Ritterfilme sind Mangelware. So schauten sich Scott und sein Team Cecil B. DeMilles "Crusades" von 1935 und Richard Thorpes über 50 Jahre alten "Ivanhoe" an, um zu sehen, wie man diese Ära besser nicht aufbereitet. Das stilistische Vorbild fand sich dann noch weiter in der Vergangenheit. Bauten statt digitaler Effekte

Produktionsdesigner Arthur Max, auch er ein Veteran von "Gladiator" und "Black Hawk Down", entdeckte das 150 Jahre alte Gemälde "Jerusalem" des Münchners August Löffler, eines Malers der Schule der Orientalisten. "Genau das brauche ich", erkannte Scott. Mit seinen melodramatischen Chiaroscuro-Lichteffekten wurde es zum visuellen Schlüsselmotiv des Films. Einige Einstellungen, etwa die Ankunft des Helden vor den Toren Jerusalems, sind wie Ausschnitte dieses Bilds komponiert. Scott und sein Designer studierten aber auch noch andere orientalistische Gemälde - ebenso wie die gigantischen Wandbilder aus dem "Salle des Croisades", dem Kreuzzugs-Museum des Musée de Versailles. Diese lieferten auch unschätzbare Details für Garderobe, Wappen oder Rüstungen.

Von vornherein hatte Scott den Wunsch, möglichst viel real zu drehen. Bauten und Originalschauplätze erhielten den Vorrang vor digitalen Effekten, die nur bei Hintergrundpanoramen zum Einsatz kamen. Auf Studioaufnahmen verzichtete der Regisseur ganz. In Spanien und Marokko fanden er und Max die gewünschten Schauplätze, darunter die Kathedrale von Avila und den Alkazar, die frühere spanische Königsresidenz in Sevilla. Nur ein Ort blieb ihnen verwehrt: In der Kathedrale von Cordoba, einer früheren Moschee, wollten sie Szenen am Hof von Sultan Saladin drehen. Doch die lokale Diözese weigerte sich: Der Anblick maurischer Krieger weckte schlechte Assoziationen - noch 500 Jahre nach der Rückeroberung Spaniens durch die Christen.

Ein anderer möglicher Drehort schied aus konzeptionellen Gründen aus: Das heutige Jerusalem ist gegenüber der Kreuzzugszeit zu stark baulich verändert. Stattdessen entschloss sich Scotts Team, die mittelalterliche Metropole sprichwörtlich aus dem Boden zu stampfen. Im marokkanischen Wüstenort Ourzazate entstanden auf einer Fläche von 28.000 Quadratmetern Stadtteile samt über zehn Meter hohem Schutzwall und 18 Meter hohen Türmen. 6000 Tonnen Gips wurden dafür verbaut. Um einen originalgetreuen Look zu entwerfen, verwandte das Team 96 verschiedene Gussformen für die Steine, orientiert an historischen Stadtmauern. Hinzu kamen orientalische Gutshöfe und mittelalterliche Dörfer, die nach traditioneller Weise mit Stein, Stroh und Holz errichtet wurden. Scotts Motto allerdings hieß: "Wir drehen keine Dokumentation, sondern einen Kinofilm." Deshalb wich das Design in manchen Zügen auch von den realen Vorbildern ab. "Ridley wollte die Stadttore größer haben", erinnert sich Max mit einem Lachen. "Dann haben wir sie ausgebaut, und er meinte: Jetzt macht sie noch größer." Bei den Arbeiten verging dem Designer aber manchmal das Lachen. Die Vorbereitungszeit war mit etwa sechs Monaten um ein paar Wochen kürzer als bei "Gladiator". Dabei war das Römerepos im Vergleich dazu weniger aufwändig und wurde nur an vier Orten gedreht - gegenüber zehn bei "Königreich der Himmel". Wüstenwinde, Regen und Kälteeinbrüche ließen die Arbeiten zur physischen Tortur werden. Gelegentlich mussten Versorgungstransporte einen 24-stündigen Umweg nehmen, weil die Passstraßen durch das Atlasgebirge zugeschneit waren. "Uns ging auch schon mal das Material aus", so Max. "Aber trotzdem wurden wir rechtzeitig fertig." Höllendreh bei Regen, Kälte und Wüstenwind

Mitte Februar 2004 begannen schließlich die Dreharbeiten. Als Hauptdarsteller war Orlando Bloom ausgesucht worden, obwohl er nach "Troja" keinen Historienfilm mehr drehen wollte. Für Nebenrollen verpflichtete Scott etablierte Schauspieler wie Jeremy Irons oder Liam Neeson. Doch seine Devise lautete von Anfang an: "Der Film ist der Star." Einige der Besetzungsmitglieder bekamen von den Dimensionen der Produktion weiche Knie: "Ich war so voll Ehrfurcht, dass ich zunächst Schwierigkeiten hatte, mich auf meine Rolle zu konzentrieren", gesteht Marton Csokas, Darsteller des Guy de Lusignan. Dieser Aufwand kulminierte in den gewaltigen Schlachtszenen, bei denen bis zu 30.000 Komparsen im Einsatz waren. Scott hatte dafür speziell die Choreografie der Pferdeschlachten in Kurosawas "Ran" und "Kagemusha" studiert. Höhepunkt des Films ist der Ansturm der muslimischen Truppen auf Jerusalem, für den u. a. 16 Meter hohe Belagerungstürme gebaut wurden. In einer besonders komplizierten Szene wurde ein ganzer Mauerabschnitt zerstört. Dafür war ein Teil der Bauten präpariert worden. Für die Innenseite, wo das Heer der Verteidiger stand, gab es ein gesondertes Set, das auf die dort postierten Stuntmen herunterbrach. Zudem wurde ein Modell im Maßstab 1:4 zum Einsturz gebracht. Das Team von Special-Effects-Supervisor Wesley Sewell gab mit digitalen Elementen den letzten Schliff.

Gefilmt wurde "Köngreich der Himmel" auf Super 35 mit sphärischen Linsen. Dieses Format, das Scott und Kameramann John Mathieson schon bei "Gladiator" eingesetzt hatten, ermöglichte einerseits einen epischen Breitwandlook, war aber auch für Aufnahmen mit wenig Licht geeignet. Das war deshalb wichtig, weil Scott gern bei Kerzenschein drehte. Speziell bei Innen- und Nachtaufnahmen versuchte er Lichteffekte wie bei den Gemälden von George de la Tour zu erreichen. Dass "Königreich der Himmel" in überwältigenden Bildern schwelgt, liegt auch an den Grundprinzipien von Scotts Bildkomposition: So achtet der Regisseur nach eigener Aussage nicht nur darauf, die Schauspieler zur Geltung zu bringen und die Geschichte möglichst klar zu vermitteln, sondern auch einprägsame Bilder zu schaffen.

Doch musste er eine Stunde aus seinem Director's Cut schneiden, um dem Publikum eine kürzere Version zu präsentieren. Vor allem die Geschichte der Prinzessin von Jerusalem fiel der Schere zum Opfer. Die vollständige Fassung soll laut Scott auf der DVD zu sehen sein.

Nach einer Erholungspause wäre ein mögliches nächstes Projekt "A Good Year", eine Komödie über einen englischen Weingutbesitzer in Südfrankreich. Doch vielleicht gibt es ja noch Chancen für "Tripoli". Einer der ausgekundschafteten Schauplätze fand in den Hafenszenen von "Königreich der Himmel" Verwendung. Max, der das Produktionsdesign übernehmen würde, bleibt optimistisch: "Es ist eine wunderbare Geschichte. Sie verdient es, verfilmt zu werden." Vielleicht glaubt Gordon dann auch wieder an Gerechtigkeit.

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