Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Sie haben es geschafft, die in den letzten Jahren abgekühlten Beziehungen zu Amerika zu verbessern. Wie schwierig war der Weg dorthin?


Thierry Frémaux: Die Beziehungen zwischen Cannes und dem US-Film sind exzellent. Sicher, in den letzten Jahren waren Studiofilme weniger vertreten. Es war die Mission, die Gilles Jacob mir anvertraut hatte, Hollywood zu überzeugen, wieder öfter nach Cannes zu kommen. Es ist vor allem ein Terminproblem, Mai ist ein schlechter Zeitpunkt für den Start. Ein Bravo für Berlin, Februar, März, April sind die idealen Monate, auch für Venedig - September, Oktober, November sind genau richtig. Diesmal ist es uns gelungen, Hollywood zur Rückkehr zu bewegen: "[Moulin Rouge](/movie/moulin-rouge_f)" ist von Fox produziert, der Animationsfilm "[Shrek](/movie/shrek-der-tollkuehne-held)" von Dreamworks, Warner ist an "[The Pledge](/movie/das-versprechen_1)" von [Sean Penn](/person/sean-penn) beteiligt. Das ist ein guter Anfang.


BF: Diese Filme standen für den Mai zur Verfügung, oder hat man die Starttermine in Amerika verschoben? Kann das Festival das beeinflussen?


TF: Nein, höchstens vielleicht die europäischen Starts. Fox startet "Moulin Rouge" einige Tage nach Cannes in den USA, in Europa im Herbst. Bei "Moulin Rouge" hatte Jacob schon im Dezember gedacht, der Film wäre was für Cannes. Da hieß es zuerst, Fox überzeugen. Dann hatte die Auswahlkommission mitzureden. Die war angetan und hat den Film in den Wettbewerb gewählt.


BF: Da entscheiden Sie auch mit?


TF: Selbstverständlich. Wir haben ein Auswahlgremium für die internationalen und eins für die französischen Filme. Für die internationale Auswahl ist es ein konsultatives Komitee, das im Team arbeitet - und die Entscheidungen trifft der Auswähler. Das französische Gremium ist demokratischer, die Filme müssen einstimmig gewählt werden. Über die internationalen Filme kann ich allein entscheiden. Aber ich arbeite am liebsten im Team.


BF: Sind Sie nach Hollywood allein oder mit Jacob gereist?


TF: In Hollywood war ich allein, zwei Mal. Aber für mein erstes Cannes-Festival habe ich Gilles Jacob gebeten, ein bisschen mein Lehrer zu sein - ein guter Lehrer. Wir haben alle Entscheidungen gemeinsam getroffen.


BF: Auch die Entscheidung wieder keinen deutschen Film in den Wettbewerb aufzunehmen?


TF: Wir hätten gern den Film von [Werner Herzog](/person/werner-herzog) gehabt, er ist ein Freund. Aber der Film war noch nicht ganz fertig.


BF: Haben Sie "[Heaven](/movie/heaven_f)" von [Tom Tykwer](/person/tom-tykwer) gesehen?


TF: Ja, er war auch noch nicht ganz fertig. Wenn er fertig ist, wird er sehr gut sein.


BF: "[Das Experiment](/movie/das-experiment)" war schon fertig.


TF: Ja, einer von insgesamt 16 deutschen Filmen, die uns vorgelegen haben. Ich übernehme voll und ganz die Verantwortung für die Auswahl. Gilles Jacob kann man deshalb nicht vorwerfen, dass er den deutschen Film nicht mag, schließlich hat ja auch "Die Blechtrommel" die Goldene Palme bekommen, ein guter Film, der den Preis verdient. Ich habe den Eindruck, dass die glorreiche Generation des deutschen Films der siebziger Jahre heute keine Nachfolger hat.


BF: Die Präsenz des Gastgeberlandes Frankreich ist diesmal besonders groß, vier Wettbewerbsfilme und vier Jury-Mitglieder.


TF: Im Wettbewerb sind eigentlich immer drei oder vier französische Filme gewesen. Und mit der Jury hatten wir diesmal das Problem, dass in Amerika der Streik bevorsteht. Wir wollten mehr Amerikaner in der Jury haben. Aber wir sind jetzt sehr zufrieden, es sind viele Schauspielerinnen und Regisseure dabei. Eine nationale Manifestation hatten wir nicht vor.


BF: In der Sélection Officielle fehlen der neue [Jeunet](/person/jean-pierre-jeunet) "[Amélie](/movie/die-fabelhafte-welt-der-amelie-best-of-cinema)" und der neue [Rohmer](/person/eric-rohmer) "[Die Lady und der Herzog](/movie/die-lady-und-der-herzog)". Warum?


TF: Den Film von Rohmer haben wir nicht gesehen. Vielleicht befindet er sich in einer anderen Starttermin-Kategorie. Jeunets Film haben wir nur in einer nicht besonders guten Video-Projektion gesehen, und er hatte einen Starttermin unmittelbar vor dem Festival.


BF: Laut Reglement darf ein Wettbewerbsfilm im Herstellungsland bereits gelaufen sein?


TF: Ja, aber wir haben natürlich lieber Weltpremieren.


BF: Haben Sie für Ihr erstes Festival etwas an den Auswahlkriterien geändert? Wie entscheiden Sie, ob ein Film in den Wettbewerb oder in Un Certain Regard kommt?


TF: Es gibt keine wesentlichen Änderungen der Kriterien. Mir geht es jetzt v.a. darum, mein erstes Festival so gut zu machen wie Gilles Jacob, eine Kontinuität herzustellen. Die Kriterien sind: populäres Autorenkino von hoher Qualität, das inhaltlich wie ästhetisch Emotionen hervorruft. Dabei ist es die Subjektivität unseres Geschmacks, den wir in den Dienst des Festivals stellen. So gibt es Filme, die uns vielleicht nicht so interessieren, von denen wir aber glauben, dass es gut ist, sie auf dem Festival zu haben. Un Certain Regard ist für mich nicht unter dem Niveau des Wettbewerbs. Wir wollten diese Reihe diesmal besonders stark machen. Namen wie [Todd Solondz](/person/todd-solondz), [Hal Hartley](/person/hal-hartley), [Abel Ferrara](/person/abel-ferrara), [Jacques Doillon](/person/jacques-doillon), [Kiyoshi Kurosawa](/person/kiyoshi-kurosawa), [Francesca Archibugi](/person/francesca-archibugi) stehen dafür.

Thierry Frémaux, neuer künstlerischer Leiter von Cannes, im Interview