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Film

Cannes: Neu entdeckte Liebe zu Amerika

In seinem ersten Jahr als künstlerischer Leiter des Festival International du Film de Cannes hat Thierry Fremaux bereits die Kontrolle über das Festival übernommen: Er hat die Verbindungen zu Hollywood verbessert - und übernimmt volle Verantwortung für das offizielle Programm.

Thomas Schultze25.04.2001 15:23
Symbol für den Burgfrieden mit Hollywood:
"Moulin Rouge" eröffnet Cannes
Symbol für den Burgfrieden mit Hollywood: "Moulin Rouge" eröffnet Cannes

Insgesamt wurden vom Selektionskommitee 854 Spielfilme (und 944 Kurzfilme) gesichtet. Aus ihnen wählte Thierry Fremaux mit beratender Unterstützung von Gilles Jacob, der dem Festival fortan als Präsident vorsteht, 31 Filme für die Offizielle Reihe (sieben davon außer Konkurrenz) und 21 Filme für die Nebenreihe Un certain régard aus. Seine wichtigste Direktive - "gute Filme" zu selektieren - sieht Fremaux erfüllt, wie er bei der offiziellen Pressekonferenz am 19. April bekannt gab. Er wies auch Vorwürfe zurück, die die Rückkehr vieler alter Bekannte nach Cannes betrifft: Dass sie ausgewählt wurden, hinge damit zusammen, dass sie ganz einfach gute Filmemacher seien. Zwei weitere Missionen, die sich Fremaux für sein erstes Jahr als künstlerischer Leiter vorgenommen hatte, seien besonders wichtig gewesen. Erstens lag es ihm am Herzen, die in den letzten Jahren mehr als wacklige Beziehung zu Hollywood zu verbessern. Dass sich seine zwei Reisen nach Los Angeles ausgezahlt haben, beweist sein Programm: Fünf Amerikaner sind im Wettbewerb vertreten, darunter der Eröffnungsfilm "Moulin Rouge" und der erste Animationsfilm, der jemals um eine Goldene Palme gekämpft hat, "Shrek" von Dreamworks. Außer Konkurrenz kommen vier weitere US-Produktionen hinzu sowie vier US-Filme in Un certain régard (u.a. der Eröffnungsfilm, "R' Xmas" von Abel Ferrara). Die starke Präsenz der Asiaten, vor allem japanischer Filmemacher, erklärt Fremaux mit der besonderen Lebendigkeit und Innovation des asiatischen Films der Gegenwart. Dass er Ähnliches - wie Jacob - im deutschen Film nicht ausmachen kann, lässt sich am Mangel an deutschen Produktionen erkennen. Lediglich in Un certain régard finden sich deutsche Koproduktionen - der österreichisch-deutsche Film "Lovely Rita" von Jessica Hausner und der deutsch-britische "Hijack Stories" von Oliver Schmitz. Ein schwacher Trost für deutsche Filmemacher ist, dass sie sich in populärer Begleitung befinden. Die als sicher geltenden Wettbewerbs-Kandidaten "Amélie" von Jean-Pierre Jeunet und "Loin" von André Téchiné sucht man vergeblich, ebenso wie Milcho Manchevskis "Dust", der bereits das Okay von Venedig erhielt, das Festival im August zu eröffnen. Insgesamt mag der Einfluss des neuen künstlerischen Leiters auf dem Papier noch als unwesentlich wirken. Bei der Pressekonferenz hielt er das Ruder aber bereits mit merklicher Sicherheit in der Hand. Inwiefern sich der Kurs während des Festivals bemerkbar machen wird, kann man in wenigen Wochen selbst miterleben.

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