Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Ihr Regiekollege [John McTiernan](/person/john-mctiernan) erzählte in einem Interview, mit Ausnahme von [Spielberg](/person/steven-spielberg) hätten alle Regisseure, die mit [Michael Crichton](/person/michael-crichton) an der Verfilmung eines seiner Romane gearbeitet haben, hart dafür gezahlt. Sie haben nach "[Die Wiege der Sonne](/movie/die-wiege-der-sonne)" sieben Jahre keinen Film gedreht? Lag's an Crichton?


Philip Kaufman: Da mag was Wahres dran sein. Ich hatte einige Projekte, die mir gefielen, die ich gern realisiert hätte. Beispielsweise habe ich zwei Jahre lang an der Verfilmung des Romans "Die Einkreisung" von Caleb Carr gearbeitet. Dann änderte sich das Klima in Hollywood und das Studio bekam kalte Füße. Ein Film über einen Mörder, der sich an männlichen, minderjährigen Prostituierten vergeht, war einfach zu heiß. Viele Projekte scheiterten aber auch daran, dass die Studios nur dann grünes Licht geben wollten, wenn man einen Tom - ich meine [Tom Hanks](/person/tom-hanks) und [Tom Cruise](/person/tom-cruise) - oder einen Mel in der Hauptrolle vorzuweisen hatte. Ich hatte aber keine Starvehikel, sondern kleinere Ensemblefilme im Kopf.


BF: Und "Quills", der ja auch nicht zimperlich ist?


PK: Das Studio sprach mich an, denn Bill Mechanic, damals noch bei Fox, hatte das Projekt entwickelt. Schon nach den ersten Seiten des Drehbuchs wusste ich, dass man daraus einen Film machen könnte, der prächtig sein und das Publikum sprachlos machen würde. Ich lehne viele Filme heutzutage ab, weil sie sofort eine klare Reaktion erzielen sollen. In meiner Jugend haben mich vor allem europäische und japanische Filme begeistert, weil man ganze Nächte mit Diskussionen über sie verbrachte. Aber wir leben mittlerweile in der schnelllebigen Ära des Internets, in der die Filme ihre Sexualität und Sinnlichkeit fast völlig verloren haben.


BF: Gab es einen speziellen Grund, warum Fox Sie für den Stoff gewählt hat?


PK: Ich vermute, dass das Studio überzeugt war, dass ich vor inhaltlichen Herausforderungen nicht zurückschrecke und nicht um meine Karriere besorgt bin. Ich muss nicht unbedingt Blockbuster oder große Filme drehen. Mir geht es vorrangig um Inhalte und Sinnlichkeit.


BF: Wie fügt sich "Quills" in Ihr bisheriges Œuvre?


PK: Bei einem guten Filmemacher, finde ich, sollte man keine übergeordneten Themen entdecken können. Das ist einer der grundlegenden Fehler der Auteur-Theorie von André Bazin. Betrachten Sie [John Huston](/person/john-huston), der so unterschiedliche und großartige Filme wie "[Asphalt Dschungel](/movie/asphalt-dschungel)" oder "[Der Schatz der Sierra Madre](/movie/der-schatz-der-sierra-madre)" gedreht hat und doch bis vor kurzem von den Anhängern der Autorentheorie abgelehnt wurde. Wer so denkt, ist vermutlich nur an seiner Karriere, nicht aber an Film interessiert. Mit 19 dreht man einen Film, in dem sich Menschen pausenlos gegenseitig in den Kopf schießen, und den Rest seines Lebens muss man dann dem Ruf gerecht werden, der neue Sam Fuller zu sein. Natürlich verbindet "Quills" mit "[Die Körperfresser kommen](/movie/die-koerperfresser-kommen)" der Kampf gegen Konformität. Und wenn man will, kann man auch "Die Wanderers" als Film über eine Gruppe lesen, die sich gegen die Zerstörung ihrer kleinen Welt wehrt. Aber ich denke nicht in diesen Bahnen. Das ist wie bei der Liebe: Die Frage, wie es war, ist nicht so interessant wie der Akt der Liebe selbst.


BF: Welche Rolle spielte für Sie bei der Gestaltung von "Quills" Peter Weiss' "Marat" und [Pasolinis](/person/pier-paolo-pasolini) Verfilmung von "[Die 120 Tage von Sodom](/movie/die-120-tage-von-sodom)"?


PK: "Quills" entspringt voll und ganz der Fantasie von Doug Wright, der auch das zugrunde liegende Theaterstück verfasste. "120 Tage von Sodom" hat er vermutlich gesehen, das war aber nicht wichtig. Ganz sicherlich kennt er "Marat" - ein fabelhaftes Theaterstück, das aber doch mehr in der Mentalität der sechziger Jahre verankert ist. Uns ging es indes vor allem darum, eine neue Seite des Marquis' zu zeigen - eine Seite, die er womöglich niemandem zeigen will.


BF: Wie haben Sie den Konflikt zwischen Gut und Böse herausgearbeitet?


PK: "Quills" ist ein Film über den Marquis de Sade. Aber es geht auch um die Figur des Abbé, der der Irrenanstalt vorsteht: ein liberaler Geist, der die Gesellschaft zu einer besseren machen will. Die Anstalt ist natürlich eine Metapher für die verrückte Welt, in der wir leben. Und der Abbé will wirklich helfen, aber er wird mit dem extremen Künstler, der extremen Unterdrückung des Staates und nicht zuletzt mit dem eigenen Verlangen konfrontiert. Ich würde sagen, das eigentliche Thema von "Quills" ist der Kampf um die Seele des Abbé.


BF: Sehen Sie "Quills" nicht auch als Parabel auf das Hollywood von heute - mit sich selbst in der Rolle des Marquis?


PK: Sicher. Aber ich sehe viele Züge von mir auch in der Figur, die [Joaquin Phoenix](/person/joaquin-phoenix) spielt, die verzweifelt versucht, alles zusammenzuhalten, aber doch immer wieder mit Problemen konfrontiert wird. Ich möchte betonen, dass mir noch kein Film leichter fiel als "Quills" - eine wunderbare Erfahrung, auch weil das Thema so provokativ ist und wir Tage nur mit Diskussionen über die Inhalte verbrachten.

Philip Kaufman zu "Quills - Macht der Besessenheit"