Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Wie kam es zu dem Projekt?

Lars Becker: Der Rotbuch-Verlag, in dem auch meine Bücher erschienen sind, schickte mir fünf Seiten Druckfahnen von "Abschaum". Ich habe am Abend zurückgefaxt, dass ich mehr lesen will, und mich zwei Tage danach mit Feridun Zaimoglu getroffen. Der hat getestet, ob ich der Richtige wäre, und dann haben wir das Ding gleich optioniert. Es war auch die erste Kontakt des Autors mit dem Medium Film.

BF: Der Stoff war aber auch Ihr Thema?

LB: Ja, aber er war unvergleichlich neu, weil es zwar um Geschichten aus dem kriminellen Milieu ging, aber geprägt von Humanität, Moral und ganz kleinen Vorlieben und Idealen, die aus der Mentalität der Personen heraus gehegt und gepflegt werden. Vor allem aber war für mich herausragend, dass Zaimoglu für Dissonanz ist, für Kontroverse, nicht für Versöhnung und Integration. In den siebziger und achtziger Jahren haben die Deutschen sozialkritisch und auch liebevoll-liberal die These vor sich hergetragen, dass die Gastarbeiterkinder zwischen zwei Stühlen sitzen - nur um sie möglicherweise mit dem einen Stuhl nach draußen zu befördern. Zaimoglu sagt: Die haben nicht mehr zwei Stühle, sondern genau wie du und ich zwei Beine, aber das gesellschaftliche Verständnis ist anders geworden.

BF: Sie sind Deutsche?

LB: Ja, ihre Wurzeln sind so vielfältig und über Generationen so losgelöst, dass der Diskurs viel interessanter ist. Deshalb war für uns ganz wichtig: Sprache darf in dem Film auf keinen Fall radebrechend sein. Sie artikulieren sich über Mentalität und die Beziehung untereinan-der. Wir haben versucht, das vom Buch rüberzuziehen.

BF: Ihr Film entzieht sich einer Genreetikettierung, überrascht in der ersten Viertelstunde durch Irritation gewohnter Sehweisen.

LB: Bei der Entwicklung des Drehbuchs haben wir uns überlegt, dass wir nicht von Anfang an auf locker oder Schenkelklopfen oder nur auf Gangstermovie machen - weil der Zuschauer dann zu gut hineinkäme. Dann würde danach die Akzeptanz fehlen für all die wichtigen Storys, die folgen. Deshalb wollten wir am Anfang irritieren und das Milieu nicht als ein homogenes Ambiente beschreiben.

BF: Es geht Ihnen aber auch um Realität?

LB: Die wollten wir keinesfalls aus den Augen verlieren. Und nach der absolut ersten Vorführung, der Premiere auf dem Münchner Filmfest, bei der wir alle wegen dieser bewusst gesetzten Irritation ziemlich nervös waren, haben mir einige Zuschauer gesagt, dass sie angefangen hätten, nachzudenken: Ist das noch die Realität der türkischen Gemüsestandbesitzer und der Dönerbuden? Das beweist, dass Zaimoglus Material von einer Menschlichkeit geprägt ist, die mich bei der ersten Lektüre der Druckfahnen bereits fasziniert hatte. Und dieses Kapital wollte ich im Film den Figuren geben. Offenbar hat das geklappt.

BF: Sie haben in Kiel gedreht, am Originalschauplatz des Buchs?

LB: Ich habe sehr gern da gedreht. Denn solche Provinzhauptstädte kennen wir nicht aus dem Kino. Tausende von Filmen entstehen in Hamburg, Berlin und München. Aber in Kiel findet genau das statt, was man in den großen Städten nicht findet: Es gibt dort keine abgeschotteten Türkengemeinden, sondern alle leben da zusammen, egal, wer woher kommt.

BF: Wie wird die Akzeptanz des Kinopublikums ausfallen?

LB: Der Verleih ist ziemlich optimistisch. Aber Entscheidendes wird von der Vermarktung abhängen. Ein Massenstart wäre nicht so günstig. Man sollte Inhalte gezielt dort platzieren, wo zum Beispiel Feridun Zaimoglu in jüngster Zeit über 200 Lesungen hatte.

BF: Wie waren Sie mit den Produktionsbedingungen von "Kanak Attack" zufrieden?

LB: Ich kann und will nicht klagen. Allerdings waren unser Budget von 3,3 Millionen Mark und die Drehzeit von 30 Tagen ziemlich eng. Dieses Prozedere, dass man sich als Regisseur wahnsinnig vielen Diskussionen, Kompromissen und Fragen stellen und abwägen muss: Das alles ist schlimmer geworden in letzter Zeit, weil die Kosten größer geworden sind. Wir haben in Istanbul gedreht, im Knast, und da wurde es dann ziemlich knapp mit dem Budget.

BF: Haben Sie schon ein nächstes Projekt?

LB: Ich drehe ein [ZDF](/company/zdf-zweites-deutsches-fernsehen)-Fernsehspiel in Hamburg, "[Rette deine Haut, Bulle](/movie/rette-deine-haut)" über Polizeikorruption. Hoffentlich im nächsten Jahr mache ich dann fürs Kino "Amigo" nach meinem eigenen Buch.

Lars Becker zu "Kanak Attack"