Blickpunkt:Film

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BF: Was sind die Höhepunkte im diesjährigen Festivalprogramm?

MM: Die Highlights sind immer eine Kombination von größeren und obskureren Filmen, die Balance ist dabei wichtig. Diese Kombination des Künstlerischen und des Populären kann - so glauben wir - unter all den Sommerfestivals nur in Locarno stattfinden. "[X-Men](/movie/x-men-der-film)" und "[Hollow Man](/movie/hollow-man-unsichtbare-gefahr)" sind erfolgreich am Boxoffice, haben aber gleichzeitig - und das ist einer der Gründe, warum die Studios Locarno als Plattform nutzen wollen - auch das Zeug zum Kultfilm für anspruchsvolle Zuschauer. Seit ich das Festival leite, wollte ich auch Filme auf der Piazza Grande zeigen, die Pop-Art sind - nicht nur im Sinne von populärer Kunst, sondern auch im Sinne von Avantgarde. Mit "X-Men" sind wir sehr nah an diese Idee gekommen und können beweisen, dass für ungewöhnliche amerikanische Filme Locarno die beste Plattform ist. Wichtig sind für uns auch große europäische Filme und das sind dieses Jahr zunächst deutsche und französische Produktionen. Auch da sind wir sehr glücklich über ein ausgewogenes Programm: Wir haben z.B. "[Crazy](/movie/crazy)", "Bronx Barbes" und "L'Amour, l'argent, l'amour". Einer der wichtigsten Filme für uns ist "The House of Mirth", weil er Elemente verbindet, für die Locarno stehen sollte - stilistisch meisterhaft, kraftvoll, überraschend besetzt. Durch diesen Film kann man ermessen, was in den letzten zwölf Jahren passiert ist: Das letzte Mal, als [Terence Davies](/person/terence-davies) in Locarno war, 1988, hat er den Goldenen Leoparden für "[Distant Voices Still Lives](/movie/entfernte-stimmen-stilleben)" bekommen. Es bestätigt uns sehr, dass Davies jetzt auf uns zählt. Normalerweise wäre ein so wichtiger Film auf anderen Festivals zuerst gelaufen. Dass wir diesen Film und auch viele weitere als Welturaufführung oder Internationale Erstaufführung bekommen, bedeutet, dass die Professionellen stärker an das Festival glauben, als sie es je zuvor getan haben.

BF: Wird Locarno zunehmend zum internationalen Treffpunkt?

MM: Absolut. Dafür steht auch der European-Film-Promotion-Event "Millennium Distributors". Seit ich als Festival-Chef in Locarno anfing, habe ich EFP genervt, damit sie etwas bei uns machen. Ich habe gesagt, ihr merkt gar nicht, dass Locarno ein Treffpunkt für die Verleiher geworden ist, vor allem, was Nischen-Produkte angeht. In diesem Jahr werden voraussichtlich über 150 Verleiher aus 19 europäischen Ländern nach Locarno kommen, die meisten zum ersten Mal. Das zeigt, dass wir als das südländischste der nordischen Festivals ein einzigartiger Treffpunkt sind.

BF: In diesem Jahr ist der deutsche Film stark vertreten; Sie zeigen im Wettbewerb zwei deutsche Filme, insgesamt elf. Wie beurteilen Sie den deutschen Film zurzeit?

MM: Innerhalb der europäischen Filme waren es in diesem Jahr die deutschen und portugiesischen Projekte, die alle Elemente des Films auf eine sehr reiche und komplexe Art in sich vereint haben.

BF: Zu den Sektionen gehören u.a. auch die neue "King of the B's" und die Retrospektive "Eine andere Geschichte des sowjetischen Films (1926-1967)".

MM: Das Filmfestival von Locarno will keine Aneinanderreihung von Premieren sein, sondern Filme verbinden. Ein gutes Festival-Programm sollte Filme so vergleichen und kontrastieren, dass eine andere Qualität und Quantität dabei herauskommt. Locarno will das unsichtbare Kino sichtbar machen. Und damit kann man die sowjetischen Filme von 1926 bis 1967 meinen, aber auch den unsichtbaren Aspekt in Paul Verhoevens Kino.

BF: Sie haben viel Aufwand und Geld in die Retrospektive mit sowjetischen Filmen gesteckt. Wie ist dieses Programm entstanden?

MM: Ich habe mich schon als Leiter der Festivals u.a. von Rotterdam für verbotene Filme eingesetzt. Lange Zeit konnte ich nicht genug Geld aufbringen. Jetzt unterhalten wir Partnerschaften u.a. zu [Kodak Film](/company/kodak), Titra Film, [Egli Film](/company/egli-film-video-ag), der Cinemathèque Suisse, dem Gosfilmofond und der russischen Goskino. Wir haben 20 Spielfilme und einige Kurzfilme ausgesucht und kombinieren sie mit weiteren 20 Filmen, die den Kontext herstellen. Damit zeigen wir die Existenz einer parallelen Geschichte des sowjetischen Kinos auf.

BF: Wie sehen Sie sich im ersten Jahr nach [Raimondo Rezzonico](/person/raimondo-rezzonico)?

MM: Meine Position ist die gleiche wie vorher, weil ich immer für meine Ideen gekämpft habe und immer eine bestimmte Vision vor Augen hatte, wie das Festival geführt werden soll. Strukturell hat sich nichts verändert, aber das Klima ist anders geworden. Wir alle haben unsere Anstrengungen verdoppelt, um ein gutes, ausgewogenes Programm aufzubauen.

Locarno-Direktor Müller zum Festival-Programm