Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Warum ein Film über Glam-Rock, ist diese Ära heute noch relevant?

Todd Haynes: Ich war verblüfft, wie Glam-Rock einfach von der Bildfläche verschwunden ist. Es gibt keine Bücher, keine Filme darüber, deshalb hat dieses Thema für mich beinahe schon nach Aufmerksamkeit geschrien. Der Film, der der Ära am nächsten kommt, ist die . Er spielt mit Themen wie sexuelle Zweideutigkeit, die auch in der Glam-Zeit von Bedeutung waren. Ich glaube, daß auch die Kids heute einen Bezug dazu haben. Die gesamte MTV-Kultur, jemanden wie Madonna mit ihren vielen Gesichtern, würde es ohne Leute wie David Bowie und die Glam-Ära gar nicht geben. Ich nehme an, daß 'Britpop' in Deutschland auch ein Begriff ist. Dieser Trend hat mit Glam-Rock sehr viel gemeinsam, die Rückkehr zu melodischen Sounds, zum Makeup, die Dandy-Posen eines Jarvis Cocker, dem Sänger der Gruppe Pulp, das alles kommt dem Glam von damals schon sehr nahe.

BF: Im Film ist kein einziger Bowie-Song zu hören.

TH: David Bowie hat sich nach langem Überlegen entschieden, die Rechte an seinen Songs nicht freizugeben, weil er eventuell etwas Eigenes in dieser Richtung plant.

BF: Wie würden Sie Ihren Film beschreiben?

TH: Ich selbst mag die Bezeichnung Rock'n'Roll-Märchen, das trifft es sehr gut. Aber ich finde auch gut, daß der Film so schwer zu beschreiben ist. Heutzutage sind Filme viel zu leicht zu kategorisieren.

BF: Sind Sie mit Ihrer Besetzung zufrieden?

TH: Absolut. Die Darsteller sind phantastisch. Die Rolle der Mandy war am schwierigsten zu besetzen, und Toni Collette kam erst ganz zum Schluß dazu. Sie hat für die Rolle nicht nur ihren Körper verändert, sondern vor allem ihre Einstellung zu ihrem Körper und ihr Vertrauen in sich selbst. Jonathan Rhys-Meyers war ebenfalls ein Glücksgriff, dieser Junge ist so unglaublich talentiert, er hat seiner Figur eine Art Verletzlichkeit verliehen, die so gar nicht im Buch stand. Dabei war er erst 19, als wir den Film gedreht haben. Er hat sogar vier Songs selbst gesungen.

BF: Wie kam R.E.M.-Sänger Michael Stipe als Produzent zu dem Projekt?

TH: Er mochte meinen Film "Safe" und war gerade dabei, im Filmgeschäft Fuß zu fassen.Er hat die Funktion des ausführenden Produzenten übernommen, hat die Finanzierung auf die Beine gestellt und sich um die ganzen Hollywood-Meetings gekümmert. Außerdem war er natürlich sehr hilfreich, als es um die Zusammenstellung der Musik ging. Sein Name sorgte dafür, daß alle wichtigen Leute auch zu den Dinner-Einladungen erschienen. Als Sänger von R.E.M. hat er einen exzellenten Musikgeschmack, hat sich aber dennoch bei der Auswahl für den Soundtrack sehr im Hintergrund gehalten.

BF: War die Finanzierung des Films schwierig?

TH: Eigentlich nicht, von all meinen Filmen war "Velvet Goldmine" bisher am leichtesten zu finanzieren. Und trotzdem haben wir nicht das ganze Budget zusammenbekommen, das wir gebraucht hätten. Wir hatten etwa eine Million Dollar zu wenig. Daß der Film schwierig zu realisieren sein würde, war mir zwar von vornherein klar, aber dadurch war es manchmal ein regelrechter Alptraum. Aber wir haben es trotzdem geschafft, daß der Film sehr teuer aussieht.

BF: Wird sich für Sie nach "Velvet Goldmine" als Independent-Filmemacher etwas ändern?

TH: Hoffentlich nicht. Ich bin in keinster Weise an Hollywood- und Big-Budget-Filmen interessiert. Man riskiert dabei, die kreative Kontrolle zu verlieren, und das ist der einzige Grund, warum ich Filme mache - um mit etwas zu experimentieren, das meine Neugierde weckt.

BF: Weshalb haben Sie sich entschieden, die achtziger Jahre im Film wie eine düstere Orwell-Vision darzustellen?

TH: In den Siebzigern herrschte diese Vorstellung einer düsteren, apokalyptischen Zukunft, der man ängstlich entgegenblickte. Das Bowie-Album "Diamond Dogs" handelte nur vom Orwell-Roman "1984", der Film "Cabaret" war in, der in dieser dekadenten Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg spielte, bevor alles zusammenbrach. Die Achtziger im Film sollten die fiktiven Vorhersagen der Siebziger verifizieren und teilweise trifft das auch zu. In den Achtzigern vollzog sich ein konservativer Rückzug von den wilden, exzessiven Jahren. Aber die Darstellung im Film ist natürlich fiktiv.

Regisseur Todd Haynes zu 'Velvet Goldmine'