Blickpunkt:Film

Produktion

Mit drei Hauptpreisen war Venedig-Gewinner ["Nomadland"](/movie/nomadland) der große Abräumer bei den Oscars. Schon vor den Academy Awards sprachen wir mit Produzent [Peter Spears](/person/peter-spears) über das ungewöhnliche Projekt von [Chloé Zhao](/person/chloe-zhao) und [Frances McDormand](/person/frances-mcdormand).


Bei einem so ungewöhnlichen Film wie "Nomadland" drängt sich die Frage auf: War es denn ein einfaches Projekt?


PETER SPEARS: Es war eine glückliche Fügung. Ich war gerade dabei, die Promotionarbeit an ["Call Me By Your Name"](/movie/call-me-by-your-name) abzuschließen. ["Three Billboards Outside Ebbing, Missouri"](/movie/three-billboards-outside-ebbing-missouri) und ["The Rider"](/movie/the-rider) machten ihrerseits die Runde durch die Festivals. Speziell Frances traf ich dabei immer wieder. Ganz begeistert erzählte sie mir von dem Buch "Nomadland", das man ihr zugesteckt hatte, ob wir es nicht gemeinsam optionieren sollten, es könnte ein toller Film dabei herauskommen. Damals stand noch die Idee im Raum, dass Frances in einer Verfilmung Linda May spielen könnte, die Hauptfigur des Buchs. Zu dieser Zeit sah Frances auf dem Toronto International Film Festival "The Rider". Sie ließ mir einen Link zukommen und sage mir, ich solle mir den Film unbedingt ansehen. Uns beiden war sofort klar, dass es keine bessere Regisseurin für "Nomadland" geben würde.


Und sie war gleich mit dabei?


PETER SPEARS: Ein paar Stunden vor der Verleihung der Independent Spirit Awards trafen wir uns auf einen Kaffee und Chloé unterbreitete uns, dass sie sich "Nomadland" nicht als direkte Adaption des Buchs vorstellte. Uns gefiel die Idee. Auf dem Weg nach Sundance machte sie einen Zwischenstopp im Rubber Tramp Rendezvous und nahm Kontakt zu ein paar der echten Nomaden auf, um ihre Welt besser kennenzulernen. Und so ging das weiter: Alles ergab sich ganz homogen. Es gab keine Hindernisse, keine Schwierigkeiten. Wir zogen immer an einem Strang. Eine solche Produktion habe ich noch nie erlebt, eine absolute Ausnahme. Es dauerte zehn Jahre, bis wir "Call Me By Your Name" startklar hatten. Von der Optionierung des Buchs hin zum Dreh von "Nomadland" vergingen gerade einmal zehn Monate.


Und dennoch findet sich eine endlose Liste von Produzenten in den Credits. Warum mussten so viele mit anpacken?


PETER SPEARS: Für Frances und mich war der Ansatz von Choé Neuland. Wir machen unsere Filme eher auf eine sehr traditionelle Weise. Deshalb holten wir [Mollye Asher](/person/mollye-asher) und [Dan Janvey](/person/dan-janvey) mit an Bord. Mollye hatte mit Chloé schon an ihren vergangenen Filmen gearbeitet und brachte einige Erfahrung im Umgang mit Laiendarstellern mit. Ebenso hatte Dan bei seiner Arbeit an Benh Zeitlins ["Beasts of the Southern Wild"](/movie/beasts-of-the-southern-wild) mit Laien gearbeitet. Das war ungemein hilfreich. Und unterstützte uns sehr, weil man nicht vergessen darf, dass wir vier Monate lang mit einem winzigen Team von 34 Leuten unterwegs waren, den Nomaden immer auf den Fersen: Jeder musste immer überall mitanpacken. In dieser Zeit haben wir das Leben der Nomaden adaptiert und sind immer dahin gegangen, wo auch sie hingegangen sind.


Was gefällt Ihnen an der Arbeit mit Chloé Zhao? Was zeichnet Sie als Filmemacherin aus?


PETER SPEARS: Sie ist eine Autorenfilmemacherin mit einer auffallend eigenen Vision. In diesem Hinblick ist sie [Luca Guadagnino](/person/luca-guadagnino) nicht unähnlich, mit dem ich unmittelbar davor gearbeitet hatte. Beide sind sehr spezifisch, wie sie ihre Geschichten erzählen wollen. Auffallend ist, dass beide sich in erster Linie für die menschlichen Aspekte ihrer Figuren interessieren. Bei Chloé fand ich beachtlich, wie sie uns alle mit auf eine Reise genommen hat und eine Seite von Amerika zeigte, die mir völlig fremd war. Es ist bemerkenswert, wie sie mit ihrer Arbeitsweise eine gemeinsame Menschlichkeit zu Tage fördert. Ist es nicht verrückt, dass eine chinesische Filmemacherin uns Dinge vor Augen führt, die zutiefst amerikanisch und doch immer universell sind. Weil sie Chloé unbedingt vertrauten, waren die professionellen Schauspieler ebenso wie die Laien in der Lage, immer so viel wie möglich von sich selbst in ihre Rollen einzubringen. Sie wussten, dass sie sich in sicheren Händen befanden. Was das anbetrifft, ist Chloé wie eine Zauberin. Ich habe so etwas noch nicht erlebt.


Was kurios ist, weil man als Zuschauer den Eindruck hat, dass es kein Sicherheitsnetz gibt: Was man sieht, ist was passiert.


PETER SPEARS: Weil Teil ihrer Magie darin besteht, immer neugierig zu sein. Sie kommt nicht ans Set und weiß genau, was vor ihrer Kamera passieren wird. Sie hat vielmehr Lust auf Entdeckung, sie lässt sich auf die Menschen ein, auf das Land, auf die Dinge, die vor ihren Augen geschehen. Das ist nur möglich, wenn man Teil der Menschen und des Landes wird. Wir kamen nicht jeden Tag an und stellten unsere Kameras und Scheinwerfer auf, sondern waren immer mit dabei. Ganz vorsichtig kann man dann formen und das aus den Menschen herausholen, was man für den Film braucht. Wir waren eine Familie von Reisenden, waren selbst Nomaden und erlebten mit großer Demut mit, wie diese Menschen uns in ihrer Mitte willkommen hießen.


Man sieht auch mit Demut zu, weil es "Nomadland" auf eindringliche Weise gelingt, auch im Zuschauer die eigene Menschlichkeit anzurufen.


PETER SPEARS: Ich habe gerade ein Zitat von Mike Nicholls gelesen, der sagte, dass es ganz selten ist, Filme zu finden, in denen es um Güte und Nächstenliebe geht. Mit einem gewissen Stolz sage ich, dass Chloé genau das gemacht hat: "Nomadland" ist ein Film über Güte und Nächstenliebe.


Hand aufs Herz: Haben Sie mit einem Drehbuch gearbeitet?


PETER SPEARS: Wir konnten einen so spontan wirkenden Film nur machen, weil wir exzellent vorbereitet waren. Zu dieser Vorbereitung gehört auch ein Drehbuch, das Chloé geschrieben hatte. Es war indes so gut ausgearbeitet, dass sie immer die Freiheit hatte, davon abzuweichen, wenn es sich beim Drehen so ergab. Ein Beispiel: Derek, der jugendliche Anhalter, den Fern im Film zweimal trifft, war als Figur nicht im Drehbuch. Er ist ein Junge, den wir unterwegs kennenlernten und der sich uns spontan anschloss, weil ihn der Prozess des Filmemachens interessiert. Jeden Abend ging Chloé nach dem Dreh in ihr Zimmer und schrieb das Drehbuch um, reicherte es mit den Erfahrungen des Tages an. Dann schickte sie die Änderungen an uns Produzenten, weil es durchaus vorkommen konnte, dass sich durch das angepasste Drehbuch Locations veränderten. Wie gesagt: Wir mussten immer auf dem Sprung sein, um Schritt mit Chloé zu halten. Wir waren eine kleine Gruppe von Guerilla-Filmemachern, die nicht mit damit gerechnet hatten, jemals so an einem Film zu arbeiten.


"Nomadland" zeigt die Vereinigten Staaten als Dritte-Welt-Land. Ist es ein politischer Film, eine Reaktion auf die Trump-Administration?


PETER SPEARS: Chloé ist nicht an Politik interessiert. Das sind nicht die Geschichten, die sie erzählen will. Politisch ist bestenfalls die Realität, in der sich ihre Figuren bewegen - in diesem Fall hat das aber nichts mit Trump zu tun, sondern den Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 2009. Aber "Nomadland" ist kein Film, der sich mit solchen Ereignissen befasst. Er sieht den Menschen zu, will ihnen auf die Spur kommen. Sie hat keine Agenda. Sie selbst sagt, dass es keine Rolle spielt, wo man politisch steht oder wem man in Wahlen seine Stimme geht: Wenn ein Tornado heranrollt, dann überlebt man ihn nur, wenn man zusammenhält. Darum geht es in ihren Filmen. Das macht sie so besonders und einzigartig.


Das Gespräch führte Thomas Schultze.

Produzent Peter Spears über Oscargewinner "Nomadland": "Wir waren selbst Nomaden"