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Heute startet "[Calls](/tvshow/calls_0)" bei Apple TV+. Die neunteilige Serie von [Fede Alvarez](/person/fede-alvarez) ist sicherlich eines der ungewöhnlicheren Projekte in diesem (oder jedem anderen) Jahr. Lesen Sie hier unsere Besprechung.


Man sieht eine fast schwarze Fläche. Ein Titel wird eingeblendet, ein Datum. Man hört ein Freizeichen, dazu sieht man eine Flatline, die auf die leisesten akustischen Reize reagiert, entsprechend ausschlägt. Wenn an den Leitungen gesprochen wird, wird das Gesprochene eingeblendet, in angenehmer Lesegröße. Wenn es lauter wird, können die Untertitel schon einmal größer werden, wie ein Ausrufezeichen. Oder die Grafiken schlagen wilder aus, explodieren in verschiedene Farben, Flächen, Formen, bleiben aber immer abstrakt. Die musikalische Untermalung ist entsprechend minimal, atonal, Musique concrete. Als würde das Albumcover von Pink Floyds "Dark Side of the Moon" zu Leben erwachen. Oder "Unknown Pleasures" von Joy Division. Oder das britische Cover der ersten Kraftwerk-Platte. Weil es so schwer zu beschreiben ist, was man da sieht, flüchtet man sich in Vergleiche, Metaphern, um begreifbar zu machen, wie sich "Calls" dem Zuschauer präsentiert.


Die Grundidee von "Calls" stammt von dem jungen Franzosen Timothée Hochet: Hörspiele, die sich aus ungewöhnlichen modernen Audioquellen speisen und deren Erzählung mit grafischen Elementen unterstrichen wird. Seit 2017 hat es die Studiocanal-Produktion in Frankreich auf drei Staffeln gebracht. Fede Alvarez, der uruguayische Regisseur, der sich mit den Horrorfilmen ["Evil Dead"](/movie/evil-dead) und ["Don't Breathe"](/movie/dont-breathe) einen Namen gemacht hatte und sich zuletzt mit dem actionreichen Lisbeth-Salander-Thriller ["Verschwörung"](/movie/verschwoerung) mit Claire Foy für größere Dinge in Hollywood empfahl, hat "Calls" jetzt neu adaptiert, in englischer Sprache, für Apple TV+. Die Grundidee ist identisch: Anrufe, Geräusche, grafische Einblendungen, als würden abstrakte Zeichen den Puls der Handlung messen. Die Erzählung ist allerdings, basierend auf den genannten Parametern, völlig eigenständig und neu entwickelt von Alvarez und seinen Mitstreitern, zu denen von Sprecherseite klingende Namen gehören wie [Lily Collins](/person/lily-collins), [Pedro Pascal](/person/pedro-pascal), [Aaron Taylor-Johnson](/person/aaron-taylor-johnson), [Aubrey Plaza](/person/aubrey-plaza) oder [Rosario Dawson](/person/rosario-dawson).


Neun Folgen umfasst die erste Staffel, sie sind zwischen 13 und 21 Minuten lang. Dankenswert kurz und genau richtig so, weil man sich als Zuschauer erst einmal an dieses narrativ stringente, in seiner Umsetzung aber doch sehr radikale Format gewöhnen muss. Die Episoden sind voneinander unabhängig, erzählen aber jeweils Zusammentreffen, in denen vertraute Situationen eskalieren, Konfrontationen oder Hilferufe, in denen unheimliche, unerklärliche Dinge, Zeitsprünge, Parallelwelten die Erzählung übernehmen - ein Trip in die Twilight Zone, in dem nicht nur das Zeit-Raum-Kontinuum, wie wir es kennen, aufgehoben wird, sondern auch die Art und Weise hinterfragt wird, wie uns Zeit und Raum sonst in Film und Fernsehen begegnen. Dass sich von Folge zu Folge größere Zusammenhänge ergeben, Überlappungen passieren, die Geschichte auf einen einenden Höhepunkt in Folge neun zustrebt, macht "Calls" zu einem faszinierenden Experiment, das vielleicht sogar noch besser funktioniert, wenn man sich am Stück darauf einlässt, etwas mehr als zweieinhalb Stunden Zeit investiert, in denen man sich tatsächlich verlieren kann in diesem visuellen Stream of Consciousness.


Thomas Schultze