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Am 18. Dezember startet Netflix mit "[Ma Rainey's Black Bottom](/movie/ma-raineys-black-bottom)" eine weitere Oscarhoffnung. Vor allem [Chadwick Boseman](/person/chadwick-boseman) in seiner letzten Rolle und [Viola Davis](/person/viola-davis) sollten zumindest Nominierungen sicher haben für ihre Leistungen in der Adaption des Theaterstücks von August Wilson. Hier unsere Besprechung.


Kongeniale Verfilmung des Theaterstücks von Pulitzer-Preis-Gewinner August Wilson über eine Bluessängerin und eine Aufnahmesession im Jahr 1927, in dem der im August verstorbene Chadwick Boseman ein letztes Mal zeigt, welch ein fulminantes Schauspieltalent mit ihm verloren gegangen ist.


Eigentlich müsste man diese Besprechung mit [August Wilson](/person/august-wilson_c) beginnen: Der zweifache Pulitzer-Preisträger und wohl bekannteste schwarze Theaterautor (mit deutschem Vater) erlebt eine Renaissance im Bewegtbild: Nach ["Fences"](/movie/fences), der dritten Regiearbeit von [Denzel Washington](/person/denzel-washington) aus dem Jahr 2016, die Viola Davis einen Oscar als beste Nebendarstellerin einbrachte, folgt nun "Ma Rainey's Black Bottom", eine diesmal von Washington für Netflix produzierte und wieder mit Davis in einer Hauptrolle realisierte Adaption von Wilsons erstem aufgeführtem Stück aus dem Jahr 1984. Wie gesagt: Eigentlich.


Aber so ganz richtig wäre das nicht. Denn man muss mit Chadwick Boseman beginnen, dem mit seiner Rolle als T'Challa in den "Avengers"-Filmen und vor allem ["Black Panther"](/movie/black-panther_b) zum Superstar und Idol einer ganzen Generation gewordenen afroamerikanischen Schauspieler, der am 28. August im Alter von nur 43 Jahren seiner Darmkrebserkrankung erlegen war. Der Auftritt als ambitionierter, aber wie sich zeigen wird auch blauäugiger junger Trompeter Levee in "Ma Rainey's Black Bottom" ist seine letzte Rolle - und sein Vermächtnis. Unverkennbar bereits gezeichnet von der Krankheit, die den Schauspieler drastisch abmagern ließ, spielt er den Levee mit einem Feuer, aber auch einem tiefen Schmerz, der bloße Schauspielerei durchdringt. In einem langen Monolog über die Ungerechtigkeit Gottes ist es, als würde Boseman die vierte Wand durchbrechen und als er selbst ganz direkt zum Publikum sprechen: ein Mensch, der im Angesicht der Unausweichlichkeit des nahenden Todes schier an sich und der Welt verzweifelt. Gänsehaut. Ohne Mätzchen und mit einem klaren Fokus auf die Darsteller inszeniert von dem versierten Theaterexperten und ehedem langjährigen Leiter des Shakespeare-Festivals in New York, [George C Wolfe](/person/george-c-wolfe), ist Boseman der Puls des Films, sein Herzschlag.


Die Seele ist indes Viola Davis, deren mit allen Wassern gewaschene Ma Rainey wie ein Gegenentwurf wirkt zu dem in seinem Sturm und Drang fast arrogant auftrumpfenden Levee. Mit heftigem Make-up und ausladender Figur spielt sie die legendäre Sängerin, die als "Mutter des Blues" gilt, als schwarze Diva, der man nichts vormachen kann. Sie hat sich ihren Platz in der gesellschaftlichen Hackordnung der USA im Jahr 1927 hart erarbeitet und weiß, dass sie ihren devoten weißen Manager und den weißen Plattenproduzenten nur so lange genussvoll gängeln und herumkommandieren kann, wie sie das abliefert, was man vor ihr will und was sich in bare Münze verwandeln lässt. Entsprechend hat sich ihre Band arrangiert mit dem Leben in einem durch und durch rassistischen Land. Den Teufel werden sie tun, das Erreichte zu gefährden, indem man an den Grundfesten des Status Quo rüttelt.


Trompeter Levee ist anders. Er hat Träume, Ambitionen, will eine eigene Band gründen, seine eigene Musik spielen, seine eigenen Stücke schreiben. Und er glaubt zu wissen, wie er seine Karten gewinnbringend ausspielt in der Welt des weißen Mannes. Er will ausbrechen, findet sich dann aber buchstäblich umgeben von engen Mauern. Kein Entkommen. An einem heißen Sommertag, an dem sich die handelnden Figuren in einem Aufnahmestudio in Chicago zusammenfinden, ist also nicht nur die schwüle Hitze schweißtreibend. Auch die Emotionen kochen hoch und finden schließlich ein Ventil in einem sinnlosen Akt der Gewalt. Regisseur Wolfe hält das trocken und präzise fest. Sein Film ist eine Spielwiese für seine Schauspieler, keine Sekunde wird die Theaterherkunft verleugnet. Im Gegenteil: Die genauen Cadragen von Kameramann [Tobias Schliessler](/person/tobias-a-schliessler), den man eigentlich eher für seine entfesselten Handkamerabilder in den Arbeiten von Peter Berg kennt, der aber auch schon in ["Dreamgirls"](/movie/dreamgirls) ähnlich klassisch geliefert hat, lassen tief blicken, in das Innenleben der Charaktere: Jeder spielt eine Rolle in einem vorgezeichneten Szenario. Nur gibt es die einen, die es durchblicken. Und die anderen, die es nicht tun. Tragische Figuren sind sie allesamt, jeder auf seine Weise.


Thomas Schultze