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Festival

Auch das Locarno Film Festival wird 2020 nicht in seiner gewohnten Form stattfinden. Wie die Alternative aussehen soll, erklärt [Lili Hinstin](/person/lili-hinstin), die künstlerische Leiterin des Schweizer A-Festivals.


Wann haben Sie erstmals in Betracht gezogen, dass das Locarno Film Festival nicht in der Form wird stattfinden können, wie man es kennt?


LILI HINSTIN: Das war ein gradueller Prozess. Wir sichten seit Februar Filme und befinden uns im gegenseitigen Austausch. Natürlich haben wir die Situation von Anfang an mitverfolgt, seit der Verschärfung der Situation im März mit zunehmend wachsamen Augen. Dabei haben wir unsere Vision des diesjährigen Festivals immer weiter angepasst und verschiedene Szenarien durchgespielt, zu denen von Anfang an auch die Möglichkeit der Absage zählte. Genauso haben wir aber auch überlegt, wie das Festival aussehen könnte, wenn nur 80 Prozent der Besucher möglich wären, wie mit 50 Prozent. Entsprechend haben wir auch schon Ideen entwickelt, wie wir dem Locarno Film Festival eine Präsenz geben könnten, auch wenn das Festival nicht vor Ort in Locarno möglich wäre. Die Absage, die jetzt leider erfolgen musste, ist ja keine komplette Absage. Sie heißt nur, dass das Festival nicht vor Ort in der gewohnten Form mit den gewohnten Reihen stattfinden kann.


Wie weit waren Sie bereits mit der Selektion des Programms?


LILI HINSTIN: Die meisten Nebenreihen hatten schon Form angenommen. Fix war beispielsweise die Retrospektive, die wir nun auf 2021 verschieben werden. Wir hatten auch schon mit der Auswahl der Hauptreihen begonnen und erste Filme für den Wettbewerb selektiert. Aber wir waren noch nicht besonders weit. Die heiße Phase hätte eigentlich jetzt begonnen - das Festival hätte ja erst im August stattgefunden.


Wäre eine digitale Version nicht auch in Frage gekommen?


LILI HINSTIN: Nein, das hätten wir als falsch empfunden. Zuhause auf der Couch zu sitzen und unsere Auswahl zu sehen, ist eben nicht das Locarno Film Festival. Die Identität eines Festivals hängt unmittelbar mit dem Ort zusammen, wo es stattfindet, mit der Zeit, mit der gemeinsamen Feier des Kinos. Nur auf diese Weise wird es zu einem einmaligen Ereignis. Uns war klar, dass das nicht der richtige Ansatz wäre, um 2020 trotz der Absage dennoch Präsenz zu zeigen.


Wie soll Ihre Präsenz jetzt aussehen?


LILI HINSTIN: Wir wollen diese Krise als Gelegenheit begreifen, als Möglichkeit für ein Experiment. Ich denke, jetzt ist eine gute Zeit, Dinge zu machen, die man sonst nicht machen würde. Ich gehe auch davon aus, dass es ein einmaliges Experiment bleiben wird, weil im nächsten Jahr das Locarno Film Festival wieder in der gewohnten Form stattfinden soll. Viele Leute freuen sich jetzt schon darauf, auf diese Form der Normalität, die wir dann auch gemeinsam zelebrieren wollen. Jetzt haben wir die Chance, Sektionen des Festivals in den Mittelpunkt zu rücken, die sonst nicht so sehr im Fokus stehen, weil sie vom Wettbewerb oder der Piazza Grande überragt werden. Wir werden also ein Schlaglicht auf das Open Doors Hub und Lab werfen, in dessen Mittelpunkt in diesem Jahr Südostasien steht, eine für das Filmschaffen überaus reichhaltige und aktive Gegend.


Das ist aber nur ein Ausschnitt Ihrer Vision für die Initiative "Locarno 2020 - For the Future of Films", mit der Sie jetzt an die Öffentlichkeit gehen?


LILI HINSTIN: Ich habe viel über das Wesen des Internets nachgedacht, über seine Ursprünge, seine Herkunft. Als das World Wide Web begann, war es eine Utopie, eine Idee, die tatsächlich von einer Gruppe Hippies auf LSD ausging. So wollen wir auch herangehen, um neue Wege zu finden, Locarno und das Internet für die Filmindustrie zu nutzen, die unsere Unterstützung dringend benötigt, wir wollen ein Gelenk sein, Verbindungen herstellen. Ich kann noch keine Details nennen, aber wir arbeiten mit dem Engagement unserer Festivalpartner an dotierten Preisen für Filmemacher, deren aktuelle Produktionen aufgrund der Coronakrise gestoppt werden mussten und deshalb in eine finanzielle Schräglage geraten sind. Wir denken an einen Leopard für einen internationalen Filmemacher und einen Spezialleopard für einen Filmemacher aus der Schweiz, weil uns das lokale Kino natürlich ein besonderes Anliegen ist. Diese Preise sollen von zwei Jurys vergeben werden, die sich aus Regisseuren zusammensetzen und die Projekte aufgrund ihrer künstlerischen Qualität bewerten sollen.


Zudem soll es eine Initiative für Schweizer Arthousekinos geben?


LILI HINSTIN: Sie sind von der aktuellen Krise besonders schwer getroffen. Als Festival hat man es leicht, besonders riskanten oder anspruchsvollen Filmen ein Forum zu bieten, weil man als Festival eben auch eine Ausnahmerolle spielt und auf ein Publikum trifft, das offen ist für die fordernderen Formen des Kinos. Die kommerzielle Auswertung solcher Filme ist eine größere Herausforderung, es bedarf eines großen Engagements von Seiten der Arthousekinos, Interesse beim Publikum zu wecken. Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass die gesamte Branche diese hoffentlich einmalige Krise meistert.


Deshalb machen Sie auch der We Are One Initiative mit?


LILI HINSTIN: Der Schulterschluss mit anderen Festivals scheint uns wichtig, deshalb ist es selbstverständlich, dass wir uns hier solidarisch erklären. Dieses besondere Festival wird sich auf Youtube abspielen, und wir werden einen herausragenden Film aus dem Wettbewerb des letzten Jahres zeigen, aber auch noch andere spannende Begegnungen und Gespräche zu dieser Plattform beitragen.


Was werden Sie machen, wenn wir die Krise hinter uns gebracht haben?


LILI HINSTIN: Ich kann es nicht erwarten, in Paris ein Ticket für die größte Leinwand der Stadt zu lösen und endlich wieder einen Film mit Publikum im Kino zu sehen. So wie Kino eben am besten ist.

Locarno-Leiterin Lili Hinstin: "Krise als Gelegenheit"