Blickpunkt:Film

Produktion

Der Dreiteiler ["Zeit der Geheimnisse"](/tvshow/zeit-der-geheimnisse) ist die erste Arbeit von [Katharina Eyssen](/person/katharina-eyssen) für Netflix. Im Interview erzählt die Showrunnerin von ihrer Erfahrung bei der Arbeit an der Miniserie, die heute bei Netflix gestartet ist.


Kreative schwärmen von der Arbeit mit Netflix. Sie auch?


Es war eine extrem positive Erfahrung. Ich sehe natürlich, wie das System Netflix unsere ganze Filmwirtschaft durcheinanderwirbelt. Aber für mich als Autorin war diese Arbeit von unschätzbarem Wert. Die Anforderung ist sehr hoch, das Tempo auch, ebenso das Niveau, auf dem der Austausch generell stattfindet. Man trägt als Showrunner von heute auf morgen eine Verantwortung, wie man das als Autor vorher noch nicht erlebt hat. Da musste ich schon ein paar Gänge hochschalten. Die Erwartungen sind beachtlich, aber gleichzeitig herrscht auch ein großes Vertrauen, dass man es auf jeden Fall schafft und etwas Gutes herauskommt: Ein derartiges Maß an kreativer Freiheit hatte ich vorher noch nicht erlebt. Das ist ein schöner Gegenpreis. Was ich vor einem Jahr vorgeschlagen habe, ist das, was man ein Jahr später sehen kann. Alle Fehler, alle Schwächen stecken in meinem Drehbuch. Ich kann mich nicht dahinter verstecken, dass es der Fehler eines Redakteurs war. "Zeit der Geheimnisse" ist hundertprozentig mein Projekt.


Wie kam das Projekt überhaupt zu Netflix?


Netflix kam im Sommer 2018 auf mich zu und sagte mir, man sei auf der Suche nach Autoren und vor allem weiblicherem Content, Geschichten mit weiblichen Figuren. Da rennt man bei mir natürlich offene Türen ein. Im Kinobereich habe ich in den letzten Jahren auch immer wieder versucht, diesen kaum bespielten Zwischenbereich zu treffen zwischen Komödie und Melodram, zwischen lustig und traurig, was dann immer so endete, dass alle doch wieder eine Komödie haben wollten. Ich freue mich natürlich, wenn meine Drehbücher verfilmt werden, aber hatte doch auch den Eindruck, ein bisschen gescheitert zu sein, weil es Kompromisse waren. Die Hoffnung habe ich aber nie aufgegeben, und das Angebot von Netflix war dann auch, als wären meine Gebete erhört worden. Mir gefiel auch, dass man gezielt nach einem kürzeren Format suchte, das sich schnell umsetzen ließ. Für mich erwies sich der Dreiteiler auch als ideale Form, mich als Showrunner auszuprobieren. Ich wollte mich beim ersten Mal in dieser Funktion nicht übernehmen.


Ein Anruf von Netflix - das erlebt man als Autor auch nicht oft.


Ich bin gut mit den ["Dark"](/tvshow/dark)-Machern [Jantje Friese](/person/jantje-friese) und [Baran Bo Odar](/person/baran-bo-odar) befreundet - mein Mann, [Robert Rzesacz](/person/robert-rzesacz), ist Cutter der Serie und war nun auch bei "Zeit der Geheimnisse" Editor. Sie haben mich empfohlen, weil sie den Eindruck hatten, dass ich die Richtige für das sei, wonach Netflix gerade suchte. Also kam der Anruf nicht aus heiterem Himmel. Aber aufgeregt und wahnsinnig erfreut war ich natürlich trotzdem. Für eine Autorin ist das eine wahnsinnige Möglichkeit. Die traurige Wahrheit ist: Es gibt nicht so viele Drehbuchautorinnen. Als ich Mitte der Nullerjahre an der HFF Drehbuch und Dramaturgie studiert habe, war ich die einzige Frau in meinem Jahrgang. Mittlerweile ändert sich das, aber vor einigen Jahren waren wir Frauen da klar in der Unterzahl.


Durch den Aufschwung des Showrunners erfahren die Autoren eine deutliche Aufwertung.


Da passiert sehr viel. Als ich 2005 mit meinem Studium begann, war das überhaupt der erste Jahrgang, dass Drehbuch unterrichtet wurde. Davor gab es diesen Studiengang nicht. Ich habe nie ein Problem damit gehabt, dass im Kino - im Mainstream wie im Arthouse-Bereich - der Regisseur die kreative Triebfeder eines Films ist, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Ich habe auch Kontrakt 18 nicht unterschrieben, weil ich finde, dass ich als Drehbuchautorin im Kinobereich in der Zusammenarbeit mit den Regisseuren sehr wohl die Anerkennung und den Respekt bekomme, die ich brauche. Ich habe mich nie schlecht behandelt gefühlt, ich akzeptiere, dass der Regisseur der unangefochtene kreative Chef ist. Im amerikanischen Fernsehbereich, wo seit Jahrzehnten mit großem Erfolg vor allem Serien gemacht werden, ist das anders. Da ist es sinnvoll, wenn der kreative Chef nicht am Set steht, weil es hier darum geht, sich um das große Ganze zu kümmern und teilweise über Jahre hinweg Handlungsstränge zu verfolgen und zu formen. Das könnte ein Regisseur niemals leisten. Im Kino können sie gerne weiter die Chefs sein, und ich bin ihre rechte Hand.


Dennoch trifft Kontrakt 18 offenbar einen Nerv.


Es ist richtig. Und richtig, dass der Arbeit des Autoren mehr Respekt entgegengebracht wird. Natürlich habe ich als Autorin im Kino auch schon Situationen erlebt, die ich als suboptimal bezeichnen würde. Wenn man mit Regisseuren arbeitet, die sich nicht als gute Partner erweisen, ist das nicht so schön. Mehrheitlich sind meine Erfahrungen bislang allerdings gut gewesen.


War Ihre erste Erfahrung als Showrunnerin lehrreich?


Ich habe mehr gelernt als in all meinen Jahren im Studium. Das habe ich auch meinen tollen Produzenten zu verdanken, [Fabian Maubach](/person/fabian-maubach) und [Jochen Laube](/person/jochen-laube) von [Sommerhaus](/company/sommerhaus-filmproduktion), die mit "Zeit der Geheimnisse" ihrerseits ja auch Neuland betreten haben. Genauso wie ich haben sie die Herausforderung angenommen, dass ich unter dem Dach von Sommerhaus die kreative Anführerschaft übernommen habe. Gleichzeitig haben sie mir den Rücken gestärkt, mir geholfen, mich getragen. Ich hatte nie zuvor eine Kalkulation mitgestaltet, ich hatte noch nie ein Casting mitgemacht, ich hatte noch nie in der Mischung oder beim Grading gesessen, ich war noch nie am Set gestanden und musste Entscheidungen treffen, damit das Pensum eingehalten werden kann. Ich musste die produzentischen Aufgaben kreativ begleiten und vor allem kreativ als letzte Instanz vor Netflix verteidigen. Für Netflix war ich der Ansprechpartner, bei mir und bei niemand anderem hatten sie "Zeit der Geheimnisse" bestellt. Ich konnte das nur leisten, weil mich meine Produzenten immer so toll unterstützt und viel beigebracht haben. Vor allem rechne ich ihnen hoch an, dass sie die Anderen nie haben merken lassen, dass ich Vieles zum ersten Mal gemacht habe.


Warum Sommerhaus?


Nach einigen Treffen mit Kelly Luegenbiehl, Vice President International Originals, und Rachel Eggebeen, die bei Netflix für die deutschen Serien und Produktion zuständig ist, habe ich ein Mini-Treatment an Netflix geschickt. Darauf antworteten sie: "Das wollen wir machen, wir bestellen das Projekt hiermit bei dir, und in einem Jahr wollen wir es senden. Jetzt sieh zu, wie du es machst." Das war eine ordentliche Herausforderung. Ich habe kurzentschlossen Jochen Laube auf dem Handy angerufen und ihm gesagt: "Hallo, du kennst mich nicht, ich finde eure Filme toll. Ich weiß nicht, ob ihr sowas macht, aber wollt ihr Produzenten meines Netflix-Dreiteilers sein." Frechheit siegt, dachte ich mir. Baran Bo Odar und mein Mann hatten mir Sommerhaus unabhängig voneinander empfohlen. Es war ein echter Glücksfall.


Für Sommerhaus war es sicherlich auch eine neue Situation?


Unter uns Dreien war es nie ein Thema, dass ich als Chefin des Dreiteilers die Verantwortung trug. Wir haben immer gemeinsam an einem Seil gezogen, wie man sich das bei allen Projekten, ob fürs Kino, fürs Fernsehen oder für einen Streamingdienst, wünscht. Es war eine sehr ausgeglichene Dreiergemeinschaft. Wir haben gemeinsam nach dem richtigen Regisseur gesucht, wir haben gemeinsam die Schauspieler ausgewählt. Sie haben mir gerade am Anfang unendlich viele Ratschläge gegeben. Je länger die Produktion voranschritt, desto mehr habe ich dann alleine machen können. Sommerhaus ist kein riesiges Produktionshaus. Es ist eine kleine Firma, die sich um mehrere Projekte kümmern muss. Aber sie waren immer für mich da. Ich kann nur hoffen, dass die Erfahrung für sie so schön war wie für mich.


Sicherlich aber auch nicht ganz einfach: Das Schreiben allein ist ein Job, der einen Tag gut füllt.


Hart war es, das gebe ich zu. Es gab eine intensive Zeit, in der ich direkt nach dem Aufstehen erst einmal zwei oder drei Stunden geschrieben habe und dann den Nachmittag verbrachte mit Casting und der Zusammenstellung der einzelnen Gewerke. Unser Glück war es, dass die Geschichte und das Drehbuch schon früh sehr klar waren, was uns die üblichen Härten ersparte, die man eigentlich immer im Development erlebt. Alles wussten immer, was wir machen wollten. Und darauf konnten wir uns auch immer konzentrieren. Ich habe es ehrlich gesagt sehr genossen, dass alles so schnell ging. Im Schneideraum habe ich ab und zu gedacht: Ach, das hätte ich im Drehbuch besser lösen können, wenn wir ein oder zwei Fassungen mehr gehabt hätten. So selbstkritisch bin ich. Wenn ich indes bedenke, wie oft es mir passiert ist, über Jahre an Drehbüchern gesessen zu haben, ohne dass sie verfilmt wurden, oder dass das ewige Feilen ihnen die Spontaneität geraubt hat, bin ich froh, es jetzt auch einmal ganz anders erlebt zu haben. Vom Gefühl her war immer alles goldrichtig, was wir gemacht haben. Das zählt.


Wie war es, erstmals einen Dreiteiler zu schreiben? Geht man da anders an die Arbeit ran?


Ich habe den Stoff einfach behandelt wie einen langen Film in drei Akten. Von daher war es nicht wirklich anders, als an einem traditionellen Filmdrehbuch zu arbeiten. Es ist eine lange Geschichte, die ich einfach unterteilt habe. Die Figuren waren mir nah, sie schrieben sich intuitiv. Das Drehbuch ist mir nicht schwergefallen.


Wie autobiographisch ist der Stoff?


Ich hatte eine sehr tolle Lehrerin an der Filmhochschule, [Doris Dörrie](/person/doris-doerrie). Die hat immer gesagt, wenn man sie nach dem autobiographischen Anteil an einem ihrer Stoffe fragte, würde sie antworten: 83,4 Prozent. Alles, was man mit Leidenschaft schreibt, was von innen kommt, trägt autobiographische Züge. Das muss gar nicht immer offensichtlich sein. Oder anders gesagt: Die Familie in "Zeit der Geheimnisse" ist nicht meine Familie. Und nichts ist bei uns so passiert, wie es in meiner Geschichte vorkommt. Aber meine Familie ist voller exzentrischer, starker, verrückter Frauen. Das hat mich sehr geprägt. Daher mag wohl mein Interesse für ungewöhnliche Frauen rühren oder für unkonventionelle Familien. Es steckt also viel selbst Erlebtes in "Zeit der Geheimnisse", und doch ist nichts so, wie es bei mir Zuhause war.


Zwei Jahre nach #metoo und dem immer stärker werdenden Ruf nach gleichberechtigter Beteiligung von Frauen im Film: Haben Sie den Eindruck, dass sich die Dinge ändern?


Wenn ich mir anschaue, wie es bei meinem ersten Projekt war, ["Heute bin ich blond"](/movie/heute-bin-ich-blond) aus dem Jahr 2012: Da war mit meiner Ausnahme und der Hauptdarstellerin keine einzige Frau dabei. Es gab einen Regisseur, zwei Produzenten, einen Koproduzenten, alle waren 15 oder 20 Jahre älter als ich. Ich habe nie mit einer Frau über das Drehbuch gesprochen. Ich sage das völlig wertfrei. [Marc Rothemund](/person/marc-rothemund) hat mir viel beigebracht. Es war eine spannende und lehrreiche Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Bei "Zeit der Geheimnisse" habe ich mit Ausnahme von Jochen und Fabian ausschließlich mit Frauen über das Projekt gesprochen. Das war eine ganz andere Atmosphäre. Ich sage nicht: Damals war scheiße, heute ist gut. Ich sage aber: Heute ist anders als damals. Nicht nur wer mit mir redet, sondern auch wie man mit mir redet.


Das Gespräch führte Thomas Schultze

Katharina Eyssen über "Zeit der Geheimnisse": "Eine extrem positive Erfahrung"