Blickpunkt:Film

Produktion

Heute startet bei Netflix die neue Serie ["Wir sind die Welle"](/tvshow/wir-sind-die-welle): Der ausführende Produzent [Dennis Gansel](/person/dennis-gansel) erzählt im Interview, wie man aus seinem Kinoerfolg ["Die Welle"](/movie/die-welle) aus dem Jahr 2008 eine Serie machte.


Zunächst bestand die Absicht, "Die Welle", Ihren Kinoerfolg von 2008, noch einmal neu zu erzählen. "Wir sind die Welle" ist nun aber doch etwas ganz Anderes geworden.


Dennis Gansel: Wir haben in einem Kreativteam, zu dem [Peter Thorwarth](/person/peter-thorwarth), der den Film damals federführend geschrieben hatte, und ich gehörten, schnell festgestellt, dass es nicht sinnführend ist, einen Kinofilm noch einmal auf acht Stunden auszuwalzen. Also haben wir das gemacht, was wir schon beim Film im Vorfeld gemacht hatten: Wir sind in die Schulen gegangen und haben mit den Jugendlichen geredet. Dabei haben wir festgestellt, dass sie heute anders drauf sind. Sie sind politischer, sie sind engagierter, es ist mittlerweile eher so, dass die Jugendlichen uns Fragen gestellt haben. Gerade nach der Wahl von Trump haben wir gemerkt, dass da ein neues Bewusstsein besteht. Unser Schluss war: Lass uns doch eine Serie machen, die wie damals der Film auch wirklich versucht, relevant zu sein, Themen zu setzen und dabei unterhaltsam zu sein. Mit [Jan Berger](/person/jan-berger_6) als Headautor haben wir mit der Umsetzung begonnen. Als Greta Thunberg sich das erste Mal vor das schwedische Parlament gesetzt hat, waren wir schon fast durch mit dem Schreiben. Die aktuellen Entwicklungen lagen eben schon in der Luft.


Was ist die entscheidende Veränderung im Vergleich zum Film?


Dennis Gansel: Wir haben das Thema der Gruppendynamik und der Manipulation einer Gruppe beibehalten. Jan Berger hatte aber die Idee, dass es diesmal kein Lehrer ist, der die Schüler manipuliert, sondern ein Mitschüler, der neu in die Klasse kommt und unsere Protagonisten erst einmal begeistert mit Ideen, hinter denen man stehen kann. Das war ein spannender Ansatz.


Sie haben zum ersten Mal an einer Serie gearbeitet. Wie haben Sie sich dem Neuland genähert?


Dennis Gansel: Ich bin begeisterter Serienfan, wie wohl jeder andere in der Branche auch. Deshalb war diese Aufgabe natürlich sehr reizvoll. Jan Berger und Peter Thorwarth ging es genauso, wie eben den anderen Autoren in unserem Writers Room wie [Ipek Zübert](/person/ipek-zuebert), [Kai Hafemeister](/person/kai-hafemeister), [Thorsten Wettcke](/person/thorsten-wettcke) und [Christine Heinlein](/person/christine-heinlein) auch. Ausgegangen sind wir bei der Dramaturgie, ähnlich wie im Film, von einem gefühlten Missstand, eine neue Ideologie kommt dazu, die ermutigt die Dinge selbst zu verändern, eine Eigendynamik entwickelt sich. Wir haben festgestellt, dass sich das Serienformat dafür sehr gut eignet. Es ist fast noch dankbarer als das Kinoformat.


Netflix sagt man nach, den Kreativen viel Spielraum zu lassen. War das auch Ihre Erfahrung?


Dennis Gansel: Es herrscht eine Kultur der großen Freiheit. Das ist auch ein reizvolles Alleinstellungsmerkmal. Dadurch ist man dann aber auch gefordert. Dann muss man Leistung bringen. Es ist ein tolles Experimentierfeld, für das sich Kreative sehr schnell begeistern können. Zu wissen, dass das Ergebnis nicht nur von einem Publikum in Deutschland gesehen wird, trägt zusätzlich zum Reiz bei. Ich muss allerdings betonen, dass Netflix natürlich nicht der einzige Ort ist, an dem man spannende Geschichten erzählen kann. Insgesamt findet aber ein Umdenken statt. Es ist ein neues Bewusstsein da, das Netflix durchaus mitausgelöst hat. Kreativen, vor allem Autoren - längst überfällig! -, wird eine tolle Spielwiese geboten. Das ist der beste Move, den man machen kann. Ich bin mir sicher, dass sich diese neue Denke auch schnell auf den Kinofilm übertragen wird. Die große Renaissance der Autoren, was Anerkennung, Bezahlung und kreative Mitkontrolle anbetrifft, werden wir auch im Kino erleben. Das geht gar nicht anders.


Sie sind also optimistisch, was die Arbeit für Filmkreative anbetrifft?


Dennis Gansel: Es ist wieder sexy, Fernsehen zu machen, für Streamingdienste zu arbeiten. Es ist ein unglaublicher Variantenreichtum gegeben. Ich war immer ein Verfechter des Genrefilms im deutschen Kino - und habe mir damit auch die eine oder andere blutige Nase geholt. Aber jetzt ist das Genre in Deutschland wieder da. Es gibt wieder das Jugenddrama, nachdem man Jahre lang nur Jugendkomödien machen konnte, eine stammt ja auch von mir, wie man weiß. Das Kriegsgenre ist wieder da mit "Das Boot". Es gibt Stoffe über Neuköllner Gangster, Serien über die Bankenkrise. Das Genre ist mit einer großen Welle wieder in Deutschland angelangt, hat eine Relevanz, ist toll erzählt und funktioniert eben nicht nur beim deutschen Publikum, sondern über deutsche Grenzen hinweg. Das ist schon Wahnsinn. Da ist wirklich ein Knoten geplatzt. Eine neue Generation ist da, die Stimmen sind vielfältig. Früher konnte man sich im Kino die erfolgreichen Regisseurinnen und Regisseure an einer Hand abzählen. Heute melden sich so viele junge spannende Kreative, die neue Akzente setzen. Man kommt mit dem Ansehen fast nicht mehr hinterher.


Junge Kreative ist das Stichwort: Bei "Wir sind die Welle" führen [Anca Miruna Lazarescu](/person/anca-miruna-lazarescu) und [Mark Monheim](/person/mark-monheim) Regie. Hat es Sie nicht gereizt, selbst Regie zu führen?


Dennis Gansel: Zunächst einmal hatte ich ein Zeitproblem, weil ich im Grunde parallel zum "Wir sind die Welle"-Dreh damit beschäftigt war, ["Jim Knopf und die wilde 13"](/movie/jim-knopf-und-die-wilde-13) zu inszenieren. Das ging also nicht zusammen. Serien wie Kinofilme verlangen hundertprozentige Aufmerksamkeit und Konzentration des Regisseurs. Dazu kommt aber noch, dass ich diese Thematik als Regisseur in leichter Variation bereits abgehandelt hatte. Drei Jahre meines Lebens hatte ich mich intensiv damit beschäftigt. Ich fand es gerade spannend, bei "Wir sind die Welle" mit zwei jüngeren Regisseuren zusammenzuarbeiten, die für den Stoff gebrannt haben. Ich bin ein Riesenfan der Sachen, die Anca und Mark machen, und war sehr froh, dass sie Lust auf unsere Serie hatten. Es war bereichernd, dass sie frischen Wind mitgebracht haben, sowohl bei der Entwicklung und Ausarbeitung der einzelnen Folgen wie auch bei der Inszenierung der Schauspieler. Sie haben eine Bildsprache mitgebracht, wie ich sie niemals hätte machen können, für die ich mich aber sehr begeistern konnte.


Wie haben Sie Ihre Arbeit als ausführender Produzent erlebt?


Dennis Gansel: Es war natürlich höchst angenehm, den Kollegen bei der Arbeit zusehen zu können und sie unterstützen zu dürfen. Ich habe durch diese Erfahrung einen noch größeren Respekt vor der Arbeit des Produzenten entwickelt. [Christian Becker](/person/christian-becker) hat mit [Astrid Quentell](/person/astrid-quentell) und vor allem unseren Creative Producerinnen [Amara Palacios](/person/amara-palacios) und [Eva Gerstenberg](/person/eva-gerstenberg) da einen Riesenjob gemacht. Und ehrlich gesagt: Man hat in meiner Position auch ein bisschen mehr Abstand. Das ist hilfreich. Es hilft in der objektiven Beurteilung, nicht erst zehn Stunden in der Kälte beim Inszenieren zugebracht zu haben und sich im Anschluss die Muster anzusehen, sondern das Gedrehte mit völlig frischen Augen einschätzen zu können. Für mich war das eine tolle Erfahrung. Die würde ich gerne wieder machen.


Das Gespräch führte Thomas Schultze

Dennis Gansel zu "Wir sind die Welle": "Eine Kultur der großen Freiheit"