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Festival

CANNES Tag 11: Deckel drauf

Der Wettbewerb des 72. Festival de Cannes ist Geschichte. Zum Abschluss gab es noch einmal zwei schöne Filme, die unterstrichen, wie abwechslungsreich und gelungen der Wettbewerb insgesamt war.

Thomas Schultze25.05.2019 06:07
Starkes Psychogramm: "Sibyl"
Starkes Psychogramm: "Sibyl" Festival de Cannes

Das Schöne zum Abschluss eines Festivals ist, dass man in den letzten Filmen auf kuriose Weise immer auch Echos der Filme entdeckt, die man im Verlauf der letzten elf Tage gesehen hat, und sich auf geheimnisvolle Weise ein übergreifendes Narrativ feststellen lässt. In jedem Jahr denkt man aufs Neue: Wenn die Reihenfolge der Filme tatsächlich von Jemandem mit dieser Absicht erstellt worden sein sollte, dann ist er ein Genie. So kann es doch unmöglich ein Zufall sein, dass in "Sibyl" von Justine Triet, ein perfekt getaktetes Psychogramm über eine vermeintlich mit beiden Beinen fest im Leben verankerte Frau, die den Boden unter den Füßen verliert, wie man es sich in dieser Form nur aus Frankreich vorstellen kann, eine tragende Nebenrolle von Adèle Exarchopoulos gespielt wird, die vor sechs Jahren ihren Durchbruch als damals komplett unbekannte Hauptdarstellerin des Goldene-Palme-Gewinners "Blau ist eine warme Farbe" von Abdellatif Kechiche schaffte - und einen Tag davor, Kechiches neuer Film gezeigt wurde, "Mektoub, My Love: Intermezzo", in dem eine der Figuren vor der Entscheidung steht, ob sie ihr Baby abtreiben soll oder nicht - ein Dilemma, vor dem auch Exarchopoulos' Figur in "Sibyl" steht: Sie spielt eine Schauspielerin, die sich auf eine folgenschwere Affäre mit dem männlichen Star ihres neuen Films eingelassen hat, der obendrein in einer festen Beziehung mit der Regisseurin des Films - zum Brüllen komisch: Sandra Hüller - ist. Also sucht sie psychiatrischen Beistand und landet so bei Sibyl, gespielt von Virginie Efira, die nach dem Publikumserfolg "Victoria - Männer & andere Missgeschicke" nunmehr zum zweiten Mal mit Justine Triet arbeitet. Sibyl hat sich eigentlich gerade aller ihrer Klienten entledigt, weil sie es wieder als Schriftstellerin versuchen will. Da sie aber unter einer Schreibblockade leidet, kommt ihr die verzweifelte Schauspielerin mit ihrem Psychodrama gerade recht. Es dient ihr als Inspiration für ihr Buch. Als Sibyl auch noch ans Filmset in Stromboli kommen soll, werden die Dinge richtig kompliziert. Zumal die Schriftstellerin/Psychotherapeutin längst nicht die gefestigte Person, erfolgreich in Beruf und Familie, ist, die sie zu sein scheint.

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