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Festival

CANNES Tag 4.1: Die Rakete zündet

Die großen Hoffnungen waren berechtigt: "Rocketman" ist umwerfend, streckenweise gar phänomenal - und in Cannes genau der richtige Schuss Adrenalin zum richtigen Zeitpunkt, um mit Energie in das erste Wochenende einzusteigen.

Thomas Schultze17.05.2019 14:26
Das Team von "Rocketman" präsentiert sich auf dem roten Teppich
Das Team von "Rocketman" präsentiert sich auf dem roten Teppich Getty Images/Paramount

Wenn man bis zum letzten Song des Films abwartet, bezeichnend und prophetisch, "I'm Still Standing", dann weiß man, warum nur Cannes für die Weltpremiere von "Rocketman", das Biopic über Elton John, in Frage kommen konnte: Das zugehörige Video, das hier wunderbar nachgestellt wird, spielt an der Croisette. Was nicht natürlich nicht heißen soll, dass der Film nicht auch sonst seine Weltpremiere beim größten A-Festival der Welt hätte haben sollen. Vielmehr stellt sich die Frage, warum Dexter Fletchers süffiges Musical nur außer Konkurrenz gezeigt wird: Erzählt in Form eines Confessionals, setzt der Film eigentlich in jeder Szene alles auf eine Karte. Anders als "Bohemian Rhapsody", der ebenfalls von Dexter Fletcher fertig inszeniert und komplett geschnitten wurde, nachdem der ursprüngliche Regisseur Bryan Singer nach etwas drei Viertel der Dreharbeiten wegen anhaltender unentschuldigter Absenz abgesetzt worden war, wirft "Rocketman" die Konventionen des traditionellen Biopics gleich zu Beginn über Bord und ist weniger daran interessiert, die Lebensstationen von Elton John abzuhaken, als vielmehr dem Menschen hinter dem Pseudonym mit Hilfe seiner Musik auf die Spur zu kommen. Als Zuschauer wohnt man Musikfilm gewordener Psychotherapie bei, wenn Taron Egerton als Titelfigur am Tiefpunkt in einem extravaganten orangen Kostüm mit Teufelshörnern und Engelsschwingen in ein Treffen der Anonymen Alkoholiker platzt und gerade heraus gesteht, nicht nur Alkoholiker zu sein, sondern auch noch Drogensüchtiger, Sexsüchtiger und Konsumsüchtiger, dem kein Laster fremd ist und sich mit jedem Exzess immer noch weiter entfernt hat von dem, der er ist und was er ist. Im Verlauf der Handlung wird der Film immer wieder in dieses Szenario zurückkehren. Und jedes Mal wird sich Elton John eines weiteren Kleidungsstücks entledigt haben, bis er buchstäblich nackt dasteht - und endlich Buße tun kann für seine Verfehlungen und sich entschuldigen bei den Menschen, die er enttäuscht hat, um wieder er selbst sein zu können.

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