Blickpunkt:Film

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Über aktuelle Entwicklungen im physischen und digitalen Videomarkt sprach Blickpunkt:Film mit [BVV](/company/bvv-bundesverband-audiovisuelle-medien)-Vorsitzenden [Dirk Lisowsky](/person/dirk-lisowsky), zugleich Regional Managing Director [Universal Pictures Germany](/company/universal-pictures-germany).


Der physische Kaufmarkt-Umsatz fiel 2017 um zwölf Prozent. Ein Grund zur Beunruhigung?


Natürlich ist das kein Wert, der uns und dem Videomarkt allgemein Freude bereitet. Allerdings auch keiner, der Panik auslösen sollte. Zunächst einmal müssen wir diesen Rückgang im internationalen Vergleich betrachten. Einige Länder beneiden uns sicher darum, auf welchem Niveau hierzulande das physische Kaufgeschäft immer noch funktioniert. Dazu reicht schon der Blick auf Österreich und die Schweiz mit einem Minus von 20 Prozent und mehr. Darüber hinaus darf man die zwölf Prozent nicht isoliert betrachten. Home Entertainment umfasst seit einigen Jahren das transaktionale Geschäft in physischen wie in digitalen Vertriebskanälen. Daher muss man eine Gesamtbetrachtung anstellen, die für jeden Marktteilnehmer anders ausfällt. Kein Grund also, jetzt alle mit gesenkten Köpfen herum zu laufen.


Bietet der hohe Umsatzrückgang im Segment Kauf-DVD nicht doch Anlass dafür?


Nein, das hat niemanden ernsthaft überrascht. Lediglich das Minus im Blu-ray Segment ist bedauerlich, denn es zeigt, dass es uns und den Mitbewerbern trotz großem Engagements nicht gelungen ist, den Videomarkt noch einmal vergleichbar zu befeuern, wie es bei der Format-Einführung der DVD der Fall war. Dennoch bietet die Blu-ray nach wie vor die bestmögliche Qualität um Home Entertainment zu genießen und ist auch in einem rückläufigen Markt, vor allem bei den Heavy Usern, immer noch die erste Wahl. Und obwohl die Käuferzahlen für das physische Produkt zurückgehen, ist die Kaufintensität im Blu-ray Segment weiterhin sehr hoch.


Die Zahl der Käufer für physisches Produkt ist offenbar stark gesunken ...


Ein Thema, das uns beim BVV natürlich sehr beschäftigt, sind die Wanderbewegungen von Konsumenten, die zeigen, dass eine hohe Zahl von Käufern dem Videomarkt komplett verloren gegangen sind. In den letzten Jahren sind für das physische Produkt massiv Handelsflächen weggefallen. Die prominentesten Beispiele waren hier Schlecker und Karstadt, aber auch im Fachhandelsbereich gab es Reduzierungen.


Außerhalb der Videobranche versteht das kaum jemand: Dass fehlende Fläche für ein paar Scheiben, die im Kassenbereich einer Drogeriemarktkette standen, zu Wehklagen bei einzelnen Programmanbieter führen kann ...


Im Fall Schlecker reden wir von mehreren Tausend Filialen, von denen sich viele in ländlichen Gebieten befanden. Für viele Menschen war Schlecker die einzige Möglichkeit, überhaupt mit physischen Produkten in Berührung zu kommen. Was machen die jetzt? Einige werden zu einem Digitalangebot gewechselt sein, andere haben vielleicht noch einen alternativen Anbieter für das physische Produkt gefunden. Aber eine Teilmenge an Konsumenten war für uns von einem auf den anderen Tag nicht mehr zu erreichen. Das Home Entertainment-Geschäft ist immer auch ein Impulsgeschäft und Impulse lassen sich nur durch Kontakte auslösen. Wenn uns also ein Kunde wie Schlecker wegbricht, verlieren wir Umsatz.


Wie gehen Anbieter damit um, wenn es vielleicht nur noch eine Handvoll relevanter Handelspartner im stationären Bereich gibt?


Auch in dem konzentrierten Markt, in dem wir uns heute befinden, stellt jeder Handelspartner andere Anforderungen an uns und erfordert eine individuelle Art der Betreuung. Trotz rückläufiger physischer Umsätze wird daher der Aufwand, diesen Ansprüchen gerecht zu werden, nicht geringer. Bestimmte Logistik- und Vertriebsstrukturen müssen einfach aufrechterhalten bleiben. Daher muss jeder Marktteilnehmer seine Strukturen und Abläufe auf ihre Effizienz überprüfen.


Löst sich dieses Problem nicht dadurch zumindest teilweise auf, wenn sich mehr aus dem Digitalgeschäft herausholen lässt?


Personell, technisch und betriebswirtschaftlich führt dieser Gedanke in die Irre. Dahinter steht die Idee, dass sich im Sinne einer großen Mischkalkulation alles zum Guten wendet. So einfach ist es nicht, denn technische und personelle Ressourcen lassen sich nicht ohne weiteres von physisch zu digital überführen. Ein Außendienst-Mitarbeiter beispielsweise, der täglich den stationären Handel besucht, lässt sich nicht auf die Schnelle in Arbeitsabläufe für das Digitalbusiness transferieren. Als guter Geschäftsmann kann ich nicht einfach sagen: Hauptsache, das Gesamtergebnis stimmt. Dann läuft man Gefahr, dass Unternehmensbereiche quersubventioniert und dadurch Probleme nur überdeckt werden. Überspitzt formuliert heißt das, dass das Digitalgeschäft nicht als kurzfristige, strukturelle Lösung für schwindende Umsätze im physischen Kaufmarkt herhalten kann.


Die von Ihnen angesprochenen Wanderbewegungen von Konsumenten müssten dennoch zeigen, dass viele Endverbraucher von physisch zu digital gewechselt sind?


Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich freue mich über jeden Digitalkunden. Ich kann doch niemanden dafür kritisieren, dass er für seinen Filmkonsum iTunes oder eine andere Plattform nutzt, statt Blu-rays zu kaufen. Es wäre irrwitzig, wenn ich mich als Vermarkter von Inhalten über das Nutzungsverhalten der Konsumenten beschwere. Es liegt an uns, diesen Veränderungen zu begegnen und unsere Angebote und Strukturen entsprechend anzupassen. Ein sichtbares Zeichen für die Veränderungen, die unsere Branche durchläuft, war es unter anderem, dass Paramount uns Anfang 2016 den physischen Vertrieb ihrer Produkte übertragen hat.


Und wie groß ist die Freude über die Segmente TVoD und EST?


Das digitale Leihgeschäft wächst, aber explodiert nicht. Ich hätte im TVoD-Segment mit einem stäkeren Wachstum gerechnet. Tatsächlich ist der Nutzwert für Kunden beim digitalen Kauf höher, so dass EST folgerichtig TVoD überholt hat. Das transaktionale Digitalgeschäft schafft es nicht, die Verluste des physischen Kaufmarkts zu kompensieren, so dass wir vielleicht smartere Antworten finden müssen auf die Frage: Was ist das Richtige für jeden einzelnen Film? Da kommen wir wieder zur Fensterdiskussion. Ich bin nicht dafür, dass wir alle Auswertungsfenster aufgeben. Allerdings finde ich schon, dass es die kaufmännische Freiheit eines jeden Rechteinhabers sein sollte, wann und wie er was veröffentlicht. Starre Regeln helfen uns nicht weiter. Sie entsprechen nicht den Gewohnheiten der heutigen Konsumenten.


Physisch verliert, digitales Kaufen und Leihen wächst, aber zu langsam. Ist Netflix an allem schuld?


Das wäre mir wirklich zu simpel formuliert. Allein deswegen, weil es keine Schuldigen in unserem Geschäft gibt. Der Konsument ist die Instanz, die den Daumen hebt oder senkt. Wenn wir Kunden aus dem transaktionalen Business an SVoD verlieren, kann ich daran erst einmal nichts Schlechtes finden. Zumal es von uns abhängt, wie wir mit dem Segment SVoD umgehen. Als Rechteinhaber entscheiden wir selbst, welche Lizenzen SVoD-Portale bekommen und zu welchem Preis. Diese Balance müssen wir finden. Fest steht, die Streaminganbieter verändern die gesamte Medienlandschaft und nicht nur das physische Entertainment. Durch sie sind das Angebot und die Vielfalt an filmischen und seriellen Inhalten gewachsen. Es liegt an uns, das gestiegene Interesse für das transaktionale Geschäft - physisch wie digital - zu nutzen.


Würde man die SVoD-Umsätze in die Gesamtmarktdaten mit einfließen lassen, könnten Sie als Vertreter des BVV für 2017 ein Plus vermelden ...


In der Vergangenheit haben wir nie die Pay-TV-Umsätze in die Berechnung für den deutschen Home Entertainment-Markt einbezogen. Wir waren immer der Auffassung, dass man transaktionales und Abo-basiertes Geschäft nicht miteinander vermengen sollte, um aussagefähigere Informationen zu bekommen. Auf diese Weise erkenne ich die Verschiebungen im transaktionalen Geschäft besser. Um das Gesamtergebnis auf zu hübschen, wäre es sicher bequem, die SVoD-Umsätze mit ein zu beziehen. Doch hier gibt es ein grundsätzliches Problem, da das gesamte transaktionale Geschäft auf messbaren Konsumentenumsätzen basiert. Das ist eine klare Berechnungsgrundlage. Aber wie berechne ich die SVoD-Nutzung im Amazon Prime-Dienst? Hier wird mit Annahmen gearbeitet, die aber nicht so belastbar sind, wie die Zahlen für das transaktionale Geschäft. Daher kann und sollte man SVoD gerne als separaten Wert ausweisen, aber bitte nicht in die Gesamtrechnung integrieren.


 Schade, dann könnte sich Home Entertainment besser darstellen ...


Wir hatten eine Zeit, als der BVV Quartal für Quartal neue Umsatzrekorde melden konnte. Das bedeutete jedoch schon damals nicht, dass alle Unternehmen tatsächlich gut verdienten. Würden wir jetzt die SVoD-Zahlen integrieren, würde sich das Bild noch mehr verzerren. Als Repräsentant eines Major Studios wie Universal Pictures kann ich das SVoD-Business vergleichsweise gelassen betrachten, da wir über alle Rechte selbst verfügen und darüber entscheiden dürfen. Aber das gilt sicher nicht für jeden Marktteilnehmer. Dazu kommt, dass steigende Konsumenten-Ausgaben für Home Entertainment den Eindruck erwecken, als herrsche in der Videobranche immer noch eine Goldgräberstimmung. Das weckt Begehrlichkeiten. Nachdem das Urteil fiel, dass für TV Serien keine FFA-Abgabe mehr fällig ist, fiel ein wesentlicher Teil der FFA-Einnahmen aus der Home Entertainment Branche weg. Das führte bei einigen Marktteilnehmern reflexartig dazu, Erhöhungen im Filmbereich zu fordern. Der SVoD-Aufschwung darf jedenfalls nicht dazu führen, dass dadurch unsere Strukturprobleme überdeckt werden.


Haben Netflix & Co. also doch einen disruptiven Charakter?


Neue Player haben den Markt betreten und wie immer kann man damit proaktiv umgehen oder die neue Situation nur als Bedrohung wahrnehmen. Die Erfahrung zeigt, dass man selbst gestalten sollte. Disney macht dies beispielsweise, indem sie einen eigenen Streamingdienst angekündigt haben. Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass die Marktkapitalisierung von traditionellen Medien-Unternehmen wie Disney, Time Warner oder unserem Mutterkonzern Comcast inzwischen niedriger ist, als die von FAANG (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google)...

Dirk Lisowsky: "Es gibt keine Schuldigen in unserem Geschäft"