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Festival

TAG 1: Das 70. Festival de Cannes ist eröffnet

Gleich zum Auftakt der 70. Ausgabe verabreichte das Festival de Cannes dem Galapublikum eine bittere Pille mit Arnaud Desplechins "Les fantômes d'Ismael", der zwar Stars auf den roten Teppich brachte, aber den Zuschauer mit seinem Überfluss an teils spannenden, teils unausgegorenen Ideen forderte. Am Rande des Festivals setzte sich einstweilen die Netflix-Debatte fort.

Thomas Schultze18.05.2017 04:26
Sorgte für einen holprigen Auftakt in Cannes: "Les fantômes d'Ismael"
Sorgte für einen holprigen Auftakt in Cannes: "Les fantômes d'Ismael" FDC

Stellen Sie sich vor, Sie sind in Cannes. Die Sonne scheint, die Frisur sitzt, Sie freuen sich auf großes Kino von den Besten der Welt. Und dann haut Ihnen das Festival gleich zum Auftakt den neuen Arnaud Despléchin um die Ohren. "Les fantômes d'Ismael" heißt der erste Film des französischen John Cassavetes im Wettbewerb seit dem überanstrengten "Jimmy P." im Jahr 2013. Und er ist ziemlich genau das, was Desplechin in den äußerst knapp gehaltenen ausgehändigten Pressematerialien selbstbeschreibt: fünf Filme in einen gepresst, eine wilde, unruhige und unfertig anmutende Ansammlung von Ideen und Figuren und Bildern, manche fesselnd und spannend, andere unausgegoren und ziellos. Das ist anstrengend, weil Ton und Erzählung ständig changieren, sich die Handlung zwar immer von einer Szene zur nächsten ergibt, aber doch keine Geschichte im klassischen Sinn erzählt wird. Man fühlt sich ein bisschen an den ebenfalls ständig die Perspektiven wechselnden "Die Liebesfälscher" von Abbas Kiarostami erinnert, aber Desplechin ist nicht so verspielt, er neckt nicht. Die Szenen brechen aus ihm heraus, und man kann sich gut vorstellen, dass der Regisseur in kreativer und privater Krise, den Mathieu Amalric hier spielt, zum zweiten Mal nach "Das Leben ist seltsam" von 2004, ziemlich exakt dem Macher von "Les fantômes d'Ismael" entspricht, ein Mann im Ausnahmezustand und von Albträumen geplagt, der Alkohol und Tabletten konsumiert, um den täglichen Anforderungen des Lebens gewappnet zu sein.

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