Blickpunkt:Film

Festival

Mit "[Der Junge mit dem Fahrrad](/movie/der-junge-mit-dem-fahrrad)", dem Eröffnungsfilm der Dardenne-Brüder, und "[Le Havre](/movie/le-havre)", dem Abschlussfilm von [Aki Kaurismäki](/person/aki-kaurismaeki), wird das Filmfest München dieses Jahr hochkarätig umrahmt.
Und in beiden Filmen geht es jeweils um Teenagerjungs, die verloren gehen und sich durchbeißen. Das war insofern Zufall, dass sich "Der Junge mit dem Fahrrad" und "Le Havre" zwar auf einer inhaltlichen Ebene ähneln, aber dann doch wieder nicht ganz zufällig, weil es nach meiner Einschätzung einfach die beiden besten Filme sind, die es derzeit gibt.

Stört es Sie, dass beide Filme bereits in [Cannes](/company/festival-de-cannes) gelaufen sind?
Überhaupt nicht. Unser Anspruch sind ja deutsche Erstaufführungen. Wir haben ab und zu natürlich auch internationale Premieren, aber das ist nicht so wichtig bei uns. Das ist auch weder unser Ziel noch unser Anspruch. Die deutschen Filme sind fast alles Weltpremieren, das ist klar, aber darum geht es sonst nicht. Wir sind ein Publikumsfestival.

Daran haben Sie in Ihrer achtjährigen Amtszeit auch immer festgehalten. Können Sie so kurz vor Ihrem letzten Filmfest schon ein bisschen resümieren?
Ich glaube schon, dass ich so ziemlich all das, was ich verändern wollte, verändert habe, soweit es unter diesen Rahmenbedingungen, die nun mal vorhanden sind, möglich ist. Die Rahmenbedingungen sind verschiedener Art, nicht nur finanzieller, aber vor allem finanzieller. Und ich glaube einfach, dass wir als zweitgrößtes nationales Filmfestival nicht viel mehr leisten können als das, was wir leisten.

Die steigenden Besucherzahlen geben Ihnen recht.
Im letzten Jahr haben wir wegen der Fußballweltmeisterschaft im Vergleich zum Vorjahr einen Verlust hinnehmen müssen. Trotzdem war es das zweit- oder drittbeste Ergebnis unserer Geschichte, weil wir insgesamt in den letzten Jahren extrem zugelegt hatten. Und das, obwohl die Zahl der Filme gleich geblieben ist und wir weitgehend eine auf Spektakel und Glamour verzichtende Politik verfolgt haben. Unserem Publikum, das - wie wir wissen - zu zwei Dritteln aus Akademikern und nahezu zu einem Drittel aus Studenten besteht, ist es egal, ob da irgendein Starlett über den roten Teppich stakst. Und das empfinde ich neben dem direkten Umgang mit dem Team als das Angenehmste an dieser ganzen Arbeit: Diese unglaublich positive Belohnung, die man vom Publikum bekommt.
Das Filmfest präsentiert erstmals eine Schweden-Reihe. Wie kam es dazu?
Der Schweden-Schwerpunkt ist eine kleine Sache, die nicht als Entdeckung von etwas ganz Exotischem, sondern als Nachbarschaftskino auf Augenhöhe sehr gut zu uns passt. Dieses Kino wurde bisher nicht so richtig wahrgenommen, weil wir Deutschen beim skandinavischen Film vorwiegend den dänischen Dogma-Film oder die Kaurismäkis aus Finnland im Auge hatten. Dabei gibt es nach Ingmar Bergman bereits zwei weitere Generationen von Filmemachern. Und die jüngste von ihnen ist souverän im Umgang mit Genrefilmen, eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass Schweden weniger Einwohner hat als Bayern.

Und mit Roy Andersson haben Sie einen weiteren Schweden im Programm.
Roy Andersson haben wir schon ein paar Jahre im Visier. Er fällt da natürlich ein wenig heraus, weil er nicht dieser jüngsten Generation angehört, aber er wird von ihr bewundert,
offenbar auch mehr als von der Generation dazwischen. Andersson ergänzt sich einerseits mehr mit Aki Kaurismäki in der lakonischen Art des Erzählens und der wortkargen Art, andererseits ergänzt er sich auch mit unserem Ehrengast Otar Iosseliani, weil es einen Sinn für das Surreale in diesen Filmen gibt.

Neben Otar Iosseliani erhält John Malkovich den CineMerit Award. Auch er ist ja eher Arthousemime als Hollywoodstar ...
So kann man es sehen. Man kann es aber auch anders herum sagen: Dass Malkovich einer der größten, bedeutendsten Schauspieler weltweit ist, ist für uns viel weniger relevant, als dass er ein hochinteressanter, intelligenter und gebildeter Schauspieler ist. Die Art, wie er seine Rollen anlegt, dass er einen Theaterhintergrund besitzt und sich in der europäischen Kultur, insbesondere in Frankreich und Italien, zu Hause fühlt, macht ihn für uns interessant. Es gäbe vielleicht sogar noch berühmtere Leute, aber von diesen hätten wir hier nicht viel, weil wir ein Begegnungsfestival mit einem gewissen intellektuellen Anspruch sind.

Mit dem American Independent Tom DiCillo haben Sie darüber hinaus einen guten alten Bekannten des Filmfests eingeladen.
Es gehört zu einem Festival dazu, dass es seine eigene Geschichte nicht verleugnet. Dazu zählt auch, dass es Weiterentwicklungen gibt, dass man bestimmten Leuten mehr oder weniger die Treue hält. Das gilt vor allem natürlich für die deutschen Regisseure. Aber auch Tom DiCillo oder [Richard Linklater](/person/richard-linklater), das sind Leute, die wir mit entdeckt haben, und die interessant bleiben, weil sie sich natürlich auch ständig verändern. Das Filmfest München wird nie zur ersten Kategorie der Filmfestivals in der Welt gehören, aber wenn man sozusagen zweitklassig ist, dann ist es besser, dies zu sein, indem man feine Dinge macht, auf die andere gar nicht schauen oder gar nicht kämen, als wenn man irgendwie versucht, den Glanz der Großen zu kopieren. In diesem Zusammenhang haben wir uns gerade in den vergangenen zehn Jahren vor allem im Ausland viel Beachtung verschafft.

Da fragt man sich doch, was für Sie trotz des Erfolgs den Ausschlag gegeben hat, nicht weiterzumachen?
Wenn man um die 50 ist, muss man sich einfach entscheiden, ob man noch einmal etwas anderes machen möchte. Und aus Sicht des Filmfestivals muss man sagen, dass ich - wie anfangs schon erwähnt - alles weitgehend umgesetzt habe, was ich umsetzen wollte: Trennung des Festivals der Filmhochschulen vom Filmfest München, Zusammenlegung der Spielorte auf eine Kinomeile, Reduzierung der Fernsehspiele, Unnachgiebigkeit, was Qualität betrifft, auch wenn man sich dabei mal Feinde macht, eine gewisse Leichtigkeit und Lockerheit, alles öffnen fürs Publikum, was sich fürs Publikum öffnen lässt, Zwei-Klassen-Gesellschaften abschaffen, den Kampf mit den Weltvertrieben aufnehmen und gewinnen, was Lizenzgebühren betrifft. Mit diesem Etat kann man meines Erachtens eben nicht mehr machen. Und deshalb dachte ich mir, vielleicht ist es gut, wenn jemand anderes kommt, der andere Ziele hat. Denn eine Entwicklung muss ja stattfinden.

Gibt es denn einen Gast, der Ihnen den Abschied besonders versüßen wird?
Der eigentliche Gast zum Abschied ist André Wilms, Hauptdarsteller aus Aki Kaurismäkis "[Das Leben der Bohème](/movie/das-leben-der-boheme)" und "Le Havre". Ich lasse ja immer einen Schauspieler das Filmfest für beendet erklären. Und ich freue mich auf den Moment, wenn [André Wilms](/person/andre-wilms), der Mann besitzt ja Stil, auf Deutsch oder auf Englisch das Filmfest für beendet erklärt und wir uns dann noch einmal verbeugen.
lasso

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