Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Bislang haben Sie meist eigene Drehbücher verfilmt. "U-Turn" stammt jedoch aus der Feder von John Ridley.

Oliver Stone: Ich habe das Drehbuch in die Finger bekommen, als es noch "Stray Dogs" betitelt war. Ich fand, daß man daraus einen hübschen, netten, bösen, kleinen Film machen könnte. Ich mache zwischen zwei großen Filmen immer gerne ein kleines Projekt, und "Stray Dogs" erschien mir ideal. Ich habe das Buch dann mit Richard Rutowski, der mir auch bei ["Natural Born Killers"](/movie/natural-born-killers) zur Hand gegangen war, umgeschrieben. Das Ende haben wir geändert, die Themen vertieft und den Ton dunkler gemacht. Mir gefiel die Idee, endlich einmal einen richtigen Genrefilm zu machen. Das war Neuland für mich.

BF: Ein Oliver-Stone-Film ohne Politik: Das ist ungewöhnlich.

OS: Ich wollte einfach Spaß haben. Politik findet sich in der Geschichte auf privater Ebene wieder, darunter verstehe ich Liebe, Lust, Eifersucht, Betrug, Sex, Geld, Mord und all diese guten alten Dinge, verpackt in einen Low-Budget-Film. Ich habe mich von Hitchcock beeinflussen lassen, indem ich Brutalität mit Humor koppelte. Das ist eine Spitzenkombination, diese Yin-und-Yang-Balance zwischen Bösartigkeit und Witz.

BF: Wie in all Ihren Filmen seit ["JFK"](/movie/jfk-john-f-kennedy-tatort-dallas) arbeiten Sie mit einer furiosen Montage aus verschiedenem Filmmaterial.

OS: Ich war diesmal sicherlich nicht so radikal wie bei "Natural Born Killers", darum ging es auch gar nicht. Meine Aufgabenstellung war: Wie schaffe ich es, ein altes Genre frisch zu präsentieren? Wir griffen auf reverses Filmmaterial zurück, mit dem wir in der Filmschule gearbeitet hatten. Diese Art von Film bringt die Primärfarben besonders extrem zur Geltung. All das Gelb, Rot und Blau springt einem richtig ins Gesicht. Weil dieses Filmmaterial so empfindlich ist, muß man sehr viel Zeit in die Postproduktion investieren, um ordentliche Resultate zu erzielen. Sie hätten unsere Arbeitskopie sehen sollen! Die war häßlich! Aber weil die Produktion nicht sehr teuer war, unterstützte uns das Studio. Es hat sich echt gelohnt.

BF: Wieviel Film haben Sie für "U-Turn" verschossen?

OS: Ich bin kein David Lean oder James Cameron. Für all meine Filme verbrauche ich zwischen 130.000 und 160.000 Meter Film.

BF: Egal, wie lang der Film sein wird?

OS: Ich lasse die Kameras andauernd laufen und mache die Second Unit meistens parallel. Das ist, als würde man mit fünf Bällen jonglieren. Aber ich bin kein Verschwender. Wenn eine Einstellung im Kasten ist, kommt die nächste dran. Ich drehe sehr schnell, halte die Schauspieler immer in Bewegung. Wenn sie stundenlang auf die nächste Szene warten müssen, kommen sie aus dem Rhythmus.

BF: Bedeutet die Tatsache, daß Sie einen Genrefilm gemacht haben, daß Sie Ihre vielzitierten inneren Dämonen bezwungen haben?

OS: Nein, aber wie jeder andere Filmemacher habe auch ich das Recht, in meiner Arbeit den Traditionen des Films zu folgen, und es gibt nun einmal eine Geschichte des Genrefilms. Ich muß mich ja nicht bei jedem Projekt förmlich in Brand stecken.

BF: Gehen Sie mit "U-Turn" zurück zu den Ursprüngen?

OS: Nein, ich bewege mich nach vorne, weil ich in Genres arbeite, die mir völlig neu und fremd sind. Wenn ich ein Musical drehen würde - und Sie wissen, daß ich ["Evita"](/movie/evita) machen wollte -, dann wäre das eine enorme Lernerfahrung für mich. Sie halten mich vermutlich für einen Polemiker, aber Sie dürfen nie vergessen, daß ich immer ein Dramatiker war. Und Dramatiker erzählen Geschichten. Klar, wenn man Filme über Themen der jüngeren Geschichte dreht, dann fordert man Kontroversen heraus. Die Medien, die traditionell konservativ sind, hacken auf einem rum, nur wenige Schauspieler wollen sich dem aussetzen. ["Nixon"](/movie/nixon) hat dann ja auch kein Geld eingespielt. Aber schauen Sie: Niemandem ist es jemals gelungen, zwei politische Filme wie "JFK" und "Nixon" zu machen, bei denen keinerlei Kompromisse eingegangen wurden. Einen - vielleicht, aber zwei - keine Chance! Würde ich gerne einen dritten machen? Sicher, aber davor müßte ich mir den Rücken stärken, denn es würde lange dauern, die Finanzen und den richtigen Schauspieler aufzutreiben.

BF: Also gibt es noch Verschwörungen, denen Sie hinterherjagen?

OS: Meine Güte, werfen Sie mich bloß nicht in einen Topf mit den Verschwörungstheoretikern, die nach Elvis oder Ufos Ausschau halten. Kritiker vergleichen mich ja gerne mit diesen peinlichen Spinnern, um mich lächerlich zu machen oder meine Arbeit in den Schmutz zu ziehen. Diese Leute sind natürlich völlig albern. Aber ich würde sagen, daß Ihnen wenigstens eine Gehirnhälfte fehlen muß, wenn Sie sich den Zapruder-Film von der Kennedy-Ermordung ansehen und dann immer noch an die These glauben, es habe nur einen Schützen gegeben.

BF: In einer Zeit, in der das Budget für einen amerikanischen Film im Schnitt 53 Mio. Dollar beträgt, haben Sie einen Film gemacht, der nur 20 Mio. Dollar kostet. Absicht?

OS: Ich verstehe die Studios nicht. Wie kann man einem Abgänger von einer Filmschule 60 Millionen Dollar für sein Regiedebüt in die Hand drücken? Als hätte Qualität etwas mit den Budgets zu tun: Kein Wunder, daß so viele Filme Mist sind. Und dann all diese öden Nabelschauen, die sich Independent-Produktionen schimpfen. Was ist daran denn unabhängig? Für mich hat "independent" etwas mit Einstellung und Aussage eines Films zu tun. "JFK" entstand so unabhängig wie irgend möglich, und das war ein Studiofilm, der 42 Millionen Dollar kostete.

Spitzenkombination aus Brutalität und Humor