Blickpunkt:Film

Film

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Auf die Frage nach meinem neuesten Projekt, antwortete ich, dass ich einen Dokumentarfilm vorbereite, und bekam prompt zu hören, "Da hätte ich doch im Moment gute Aussichten, Dokumentarfilme wären ja wieder in und sehr gefördert." Mir selbst war das so explizit nicht aufgefallen, weil ich kaum einen Unterschied zwischen Spiel- und Dokumentarfilm mache. Ich bin kritisch jeder Art von "Moden" gegenüber, ob es sich z.B. um das "neue deutsch-türkische Kino" handelt oder um den "neuen Dokumentarfilm". Ich befürchte dahinter immer zu sehr ein nur kommerzielles Interesse. Nicht umsonst ist der "Dokumentarfilm-Boom" aufgekommen, als [Michael Moore](/person/michael-moore) mit seinen Filmen zuerst in den USA und dann hier großen Erfolg hatte.
Der Dokumentarfilm macht wie auch der Spielfilm einige Veränderungen in seiner Erzählart durch, die auf jeden Fall förderungswürdig sind. Filmemacher türkischen Ursprungs gab und wird es weiterhin geben - genauso der Dokumentarfilm. Solange diese "Moden" sich nicht insbesondere auf eine inhaltliche Weiterentwicklung (die sowieso unvermeidlich ist) beziehen, können die neuen Förderungen und das Interesse der Zuschauer nicht zu einem festen Bestandteil unserer Filmlandschaft werden. Das wünsche ich mir allerdings sehr.
[Seyhan Derin](/person/seyhan-derin), Filmemacherin


Bessere Sendeplätze
Im Kino hat der Dokumentarfilm eindeutig an Bedeutung gewonnen. Nehmen Sie etwa erfolgreiche Produktionen wie "[Geister der Titanic](/movie/die-geister-der-titanic-3d-imax)", "[Deep Blue](/movie/deep-blue)", "[Rhythm is it!](/movie/rhythm-is-it)" oder "[Höllentour](/movie/hoellentour)". Oder die an der [HFF München](/company/hochschule-fuer-fernsehen-und-film-muenchen) ausgebildete Regisseurin [Byambasuren Davaa](/person/byambasuren-davaa) mit ihrer "[Geschichte vom weinenden Kamel](/movie/die-geschichte-vom-weinenden-kamel)" (Oscar-Nominierung), deren ebenso schöner Nachfolgefilm "[Die Höhle des gelben Hundes](/movie/die-hoehle-des-gelben-hundes)" ab Juli im Kino startet. Im Fernsehen wünschte ich mir noch prominentere Sendeplätze für Dokumentarfilme (und damit meine ich keine Dokumentationen) - vor allem bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Der [Bayerische Rundfunk](/company/bayerischer-rundfunk-br) stellt mit seinem BFS-Programm hierbei eine rühmliche Ausnahme dar. Er stiftet zusammen mit [Telepool](/company/telepool) den höchstdotierten Dokumentarfilmpreis Europas.
[Thomas Weymar](/person/dr-thomas-weymar), Geschäftsführer Telepool München
Elende Existenz im TV
In Zeiten großer Veränderungen gibt es ein starkes Bedürfnis nach Verständnis und Orientierung. Globalisierung, der so genannte Kampf gegen den Terror und tiefgreifende soziale Umbrüche - der Dokumentarfilm kann gerade in Perioden der Unübersichtlichkeit als Spiegel der Wirklichkeit dienen, er kann aufklären, Gegenöffentlichkeit schaffen, Identifizierungsmuster bieten und zur Reflexion anregen.
Dank dieser Funktion hat der Dokumentarfilm in den letzten zwei Jahren auf der Kinoleinwand sehr an Bedeutung gewonnen. Dokumentarfilme sind heutzutage filmisch aufregend, emotional, engagiert und spannend. Im Fernsehen aber fristet das Genre eine elende Existenz. Finanziell ausgeblutet und auf nächtliche Sendeplätze oder ins kulturelle Ghetto von [Arte](/company/arte-deutschland) und [3sat](/company/3sat) verbannt, hat der große Dokumentarfilm, der das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender einst schmückte, im Fernsehen fast keine Bedeutung mehr. Die Kinos füllen diese Lücke. Im Fernsehen haben Dokumentationen, dokumentarische Formate und Serien Hochkonjunktur. Sie lassen sich billig produzieren, füllen Programmplatz, machen Quote und binden Zuschauer an die Sender, die im Meer der Programme unterzugehen drohen. Wer braucht da noch den Dokumentarfilm mit Autorenhandschrift? Jeder, der aufregendes Fernsehen will: Tiefe, Risiko, Provokation, Ruhe, Emotion, Überraschung, Nachdenklichkeit, künstlerische Vielfalt. Doch ohne das Fernsehen als Kofinanzier geht es nicht. Daher ist die Situation für den Dokumentarfilm bedrohlich.
[Claas Danielsen](/person/claas-danielsen_7), Direktor [Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm](/company/dok-leipzig-internationales-leipziger-festival)

Erfolgreiche Allianz
Die Frage zur Renaissance des Dokumentarfilms taucht in schöner Regelmäßigkeit auf. Die Antworten sind je nach Stimmungslage unterschiedlich. Fakt ist: Es gibt den Dokumentarfilm sowohl im Kino als auch im Fernsehen. Letztes Jahr waren vor allem zwei Filme an der Kinokasse besonders erfolgreich "Rhythm is it" von [Thomas Grube](/person/thomas-grube) und [Enrique Sanchez Lansch](/person/enrique-sanchez-lansch) und "Höllentour" von [Pepe Danquart](/person/pepe-danquart). Beide wurden, wie seit Jahren üblich vom Fernsehen koproduziert - in diesem Fall von [RBB](/company/rundfunk-berlin-brandenburg-rbb) und [WDR](/company/westdeutscher-rundfunk-wdr) - und damit erst ermöglicht.
Nach einer Studie von Fritz Wolf aus dem Jahr 2003 u.a. für das Grimme-Institut gibt es im Fernsehen mehr dokumentarische Formen und Sendeplätze denn je: pro Monat etwa 1500 Produktionen. Die technische und optische Qualität der Doc-Produktionen (high definition) nimmt immer mehr zu und die Kinos sind zunehmend mit guten Video-Beamer ausgestattet. Damit reduziert sich die finanzielle Hürde für einen Kinostart erheblich. Der Weg für so manche Dokumentarfilme aus dem Fernsehen in die Kinos scheint also einfacher zu werden.
Insofern wird die erfolgreiche Allianz Fernsehen und Dokumentarfilm - davon bin ich fest überzeugt - weiterhin bestehen und für den Dokumentarfilm im Kino fruchtbare Ergebnisse liefern.
Helfried Spitra, Leiter Programmbereich Kultur WDR
Gestiegene Nachfrage
Betrachtet man die Zuschauerzahlen im Kino in den letzten zwei Jahren, lässt sich ein klarer Aufwärtstrend erkennen. Das ist nicht nur den spannenden Inhalten, sondern auch engagierter und intelligenter Verleihstrategie zu verdanken. Gestützt durch präzises Zielgruppenmarketing und gemeinsame Konzepte mit den Kinobesitzern konnten so z.B. längere Einsatzzeiten für Dokumentarfilme erzielt werden. Und das lohnte sich. Besonders erfreulich ist dabei der hohe Anteil der nationalen Dokumentarfilmproduktion. "Höllentour" oder "Rhythm is it!" sind hier als Beispiel zu nennen.
Das gute nationale Box-Office erhöht gleichzeitig die Chancen für die Auslandsauswertung, gilt es den ausländischen Einkäufern doch als strategischer Indikator. Eingeleitet durch den internationalen Erfolg von "[Black Box BRD](/movie/black-box-brd)", "[Rivers and Tides](/movie/rivers-and-tides)" und natürlich "Die Geschichte vom weinenden Kamel" steigt die Nachfrage nach deutschen Dokumentarfilmen auf den internationalen Märkten. Fazit: Der Dokumentarfilm hat in Deutschland an Bedeutung gewonnen. Es wäre wünschenswert, wenn die Sender dieses bei der Vergabe der Sendeplätze mehr berücksichtigen würden. Dann könnte durch das Gewinnen breiterer Zuschauerschichten aus dem Boom eine echte Renaissance werden.
Cathy Rohnke, Wilde Sterne - Konzeption & Entwicklung
Interessen am Ursprung
In den letzten drei Jahren hat tatsächlich eine Entwicklung eingesetzt, die den Dokumentarfilm in der Erfolgsskala weit nach vorne gebracht hat, nicht nur in Deutschland, sondern auch international: "[Bowling for Columbine](/movie/bowling-for-columbine)", "Rhythm is it!", "Die Geschichte vom weinenden Kamel", "[Super Size Me](/movie/super-size-me)" u.a. haben Besucherzahlen erreicht, die denen erfolgreicher Spielfilme in nichts nachstehen. Diese Entwicklung führe ich auf folgende Ursachen zurück:
1. ein wieder erwachendes Interesse seitens der Zuschauer an einfachen und ursprünglichen Stoffen, die mit der Wirklichkeit zu tun haben, im Unterschied zu den fiktionalen Traumwelten der amerikanischen Studiofilme;
2. die Wandlung eines eher trockenen (und manchmal zu intellektuellen) Dokumentarfilmkonzepts in eine neue Art von spannendem Entertainment;
3. der Glaube der Verleiher an das Potenzial stimmiger Dokumentarfilme und das daraus folgende Einbeziehen neuer Marketingmaßnahmen im Kooperations- und Promotionbereich.
Leider tragen die öffentlichen und privaten Fernsehanstalten dem neuen Geschmack des Publikums nicht Rechnung. Entweder sie lehnen Dokumentarfilme grundsätzlich ab oder sie verbannen auch die erfolgreichsten Filme auf einem Zeitslot kurz vor oder nach Mitternacht.
Trotzdem: Dass ein Dokumentarfilm 300.000 Besucher oder mehr macht, ist ein Glücksfall, der auf dem Grundsatz beruht: "Der richtige Dokumentarfilm zum richtigen Zeitpunkt".
[Stephan Hutter](/person/stephan-hutter), Geschäftsleitung [Prokino](/company/prokino-filmverleih-gmbh)
Grenzen verschwimmen
Der Boom des Dokumentarfilms ist ein weltweiter Trend. Man denke nur an solche internationalen Kinoerfolge wie [Morgan Spurlocks](/person/morgan-spurlock) "Super Size Me" oder Michael Moores "Bowling for Columbine" und "[Fahrenheit 9/11](/movie/fahrenheit-911)". Auch deutsche Dokumentarfilme erleben einen deutlichen Aufschwung, mit 1,9 Millionen Zuschauern 2004 gegenüber 200.000 im Jahr davor. Von der deutsch-englischen Koproduktion "Deep Blue" über Thomas Grubes und Enrique Sanchez Lanschs "Rhythm is it!" bis hin zu Pepe Danquarts "Höllentour" - es gibt die unterschiedlichsten Themen und Handschriften. Ein besonders beliebtes Thema derzeit ist der Zweite Weltkrieg und die persönliche Vergangenheitsbewältigung wie in Christian Bauers "The Ritchie Boys" oder [Malte Ludins](/person/malte-ludin) "[2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß](/movie/2-oder-3-dinge-die-ich-von-ihm-weiss)". Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sind Dokumentationsserien wie Doku-Soaps und History Formate mit Re-Enactments besonders erfolgreich, wobei sich der Sendeplatz für künstlerische Dokumentarfilme leider auf 3Sat und Arte und die Late-Night-Schiene beschränkt. Dabei ist der Dokumentarfilm publikumswirksamer denn je, u.a. weil die Grenzen zwischen den Genres verschwimmen und Dokumentarfilme immer häufiger die dramaturgischen Mittel des Spielfilms verwenden.
[Christian Dorsch](/person/christian-dorsch), Geschäftsführer [German Films Service + Marketing](/company/german-films-service-marketing)
Renaissance von Dauer
Ich könnte es mir jetzt leicht machen und behaupten, es kann gar kein Glücksfall sein - weil sich 1,9 Millionen Filmfans einfach nicht irren können. So viele Besucher sahen sich ja im Jahr 2004 einen Dokumentarfilm an. Es gibt aber über den offensichtlichen Publikumsgeschmack hinaus auch ganz objektive Kriterien, die für eine dauerhafte Renaissance sprechen. Da ist zunächst einmal die Vielfalt der Themen, die zudem auch noch mit den unterschiedlichsten stilistischen Ansätzen umgesetzt werden. In Filmen wie "Die Geschichte vom weinenden Kamel" oder "Rhythm is it!" werden Geschichten aufs Beste erzählt, bei "Deep Blue" imponiert der cineastische Effekt. Damit ist der enorme Besucherzuwachs - im Jahr 2003 hatten sich 27 Dokumentarfilme mit insgesamt knapp 200.000 Zuschauern begnügen müssen - auch eine Reaktion auf den Qualitätszuwachs. Hinzu kommt auch ein gestiegenes Interesse an der Wahrheit, an geschichtlichen Ereignissen und ihre Erklärung. Und meine Zuversicht, dass wir es hier mit einem dauerhaften Trend zu tun haben, gründet sich auf die Qualität der Regisseure, die es verstehen, eine Kinoästhetik zu entwickeln, Geschichten zu erzählen - und die Kunst beherrschen, beides zu verbinden. Dieses Können entfaltet sich von unten nach oben: Schließlich ist die für den Oscar nominierte "Geschichte vom weinenden Kamel" eine Abschlussarbeit an der HFF München. Und das ist das Resultat einer Entwicklung.

[Peter Dinges](/person/peter-dinges), Vorstand [FFA](/company/ffa-filmfoerderungsanstalt)
Neue Generation
Der Dokumentarfilm erlebt nur dann eine Renaissance, wenn es junge Filmemacher gibt, die diese Form des Erzählens interessiert und reizt. Unlängst haben wir im Kleinen Fernsehspiel unter dem Motto "Agenda 2020 - Wie werden wir leben?" eine neue Ausschreibung gemacht und sind damit auf eine enorme Resonanz gestoßen. Von 330 Einreichungen werden wir fünf Projekte realisieren. Filme wie "[Dancing with Myself](/movie/dancing-with-myself)", "[Was lebst du?](/movie/was-lebst-du)" und "[Am seidenen Faden](/movie/am-seidenen-faden)" - allesamt preisgekrönte Arbeiten, die derzeit im Fernsehen oder im Kino zu sehen sind -, zeigen, dass hier eine neue Generation von Filmemachern am Werk ist. Ihnen geht es darum, persönlich, lebensnah, unbedingt auch unterhaltsam zu erzählen und dabei immer auf Augenhöhe mit den Menschen, die sie porträtieren und der Zeit in der wir leben, zu sein.
Also bleibt mir nur noch ein frommer Wunsch: Dass sich diese Lebendigkeit auch auf anderen Sendeplätzen und in anderen Formaten wiederfinden wird, mit einem Wort: Dass die jungen Filmemacher von heute und morgen nicht nur von Kino träumen, sondern auch das moderne Fernsehen mit all seinen Hybrid- und Soap-Formen kennen und lieben lernen!
[Heike Hempel](/person/heike-hempel), [ZDF](/company/zdf-zweites-deutsches-fernsehen)-Redaktionsleiterin Fernsehfilm II und Das kleine Fernsehspiel
Engagierte Produzenten gesucht
Der künstlerische Dokumentarfilm im Kino spielt dank populärer Stoffe (z.B. "Rhythm is it!", "Höllentour", "Geschichte vom weinenden Kamel", "[Sein und Haben](/movie/sein-und-haben-etre-et-avoir)"), dank engagierter und geschickt agierender Verleiher (z.B. [Neue Visionen](/company/neue-visionen-filmverleih), [Piffl](/company/piffl-medien), [Timebandits](/company/timebandits-films), [Ventura](/company/ventura-film)), der vom Erfolg bestätigten Risikobereitschaft vieler Kinobesitzer in einem veränderten Markt (nach den Insolvenzen einiger Spielfilmverleiher) und einem neu gewonnenen Publikum filmwirtschaftlich eine bedeutende Rolle. Auch schwierigere Sujets wie "[Elisabeth Kübler-Ross - Dem Tod ins Gesicht sehen](/movie/elisabeth-kuebler-ross-dem-tod-ins-gesicht-sehen)" oder "[Die Spielwütigen](/movie/die-spielwuetigen)" lassen sich heute erfolgreich im Kino einsetzen. Auf Spielfilmfestivals halten Dokumentarfilme Einzug ins Hauptprogramm. Das Fernsehen programmiert serielle Formate. Aufwändige Doku-Soaps und Doku-Dramen bilden die seltenen Ausnahmen im Einerlei der industriell gefertigten, Quote sichernden History, Nature und Social Interest-TV-Dokumentationen. Die Redaktionen von ZDF Das kleine Fernsehspiel, 3sat, ZDF / Arte und einigen Dritten pflegen den künstlerischen Dokumentarfilm - für späte Sendeplätze und gelegentliche Kinoauswertungen.
Hohe Qualitätsstandards und eine klare Kinodramaturgie zahlen sich also aus. Was brauchen wir? Engagierte Produzenten für international kofinanzierte Kinodokumentarfilme - und eine überzeugende, koordinierte Förderpolitik.
[Dr. Hermann Barth](/person/dr-hermann-barth), Leiter [Internationales Dokumentarfilmfestival München](/company/dokfest-muenchen)
Missbrauch hat Tradition
Dokumentarfilmen wird in Deutschland sicherlich nicht die Bedeutung eingeräumt, die ihnen zukommt. Vermutlich liegt dies daran, dass hier ihr Missbrauch für didaktische Zwecke eine so große Tradition hat. Als Folge davon tritt der Dokumentarfilm heute vor allem in Nischen wie Dokumentarfilmfestivals oder dokumentarischen Sektionen allgemeiner Festivals auf. Das Filmfest München betrachtet den Dokumentarfilm, nicht anders als den Spielfilm, als Kunstwerk. Deshalb zeigen wir in allen Reihen des Filmfests ununterschieden Spiel- und Dokumentarfilme.
Angeblich lassen sich ja die Stammbäume beider Varietäten schon auf verschiedene Urväter des Filmemachens, auf die Brüder Lumière einerseits und Georges Méliès andererseits, zurückführen. Das ist natürlich ebenso offenkundiger Quatsch wie jeder Versuch einer seriösen epistemologischen Fundierung einer behaupteten ontologischen Differenz. Jedes Kind kann heute hersagen, dass "Wirklichkeit" - und erst recht ihre "Repräsentation" oder künstlerische Gestaltung - ein Konstrukt ist. Erfreulicherweise jedoch ist das Vertrauen in einen platten Naturalismusanspruch von Bildern - auch von "dokumentarischen" - ja mittlerweile weitgehend zerstört. Das Filmfest München sieht sich weiterhin diesem emanzipatorischen Vertrauensabbau verpflichtet.
[Andreas Ströhl](/person/andreas-stroehl), Geschäftsführer [Filmfest München](/company/filmfest-muenchen)
Chancen noch nicht erkannt
Dokumentarfilm ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Medienöffentlichkeit. Nichts ist so vielfältig, so aufregend und so überraschend wie die Wirklichkeit. Ihr Fundus an Geschichten ist unerschöpflich, ihre Dramaturgie ist nicht vorhersehbar. Der Dokumentarfilm weitet den Blick für Hintergründe, er hilft dem Zuschauer, menschliches Verhalten und gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und einzuordnen.
Wenn er gut ist, packt er - wie der Spielfilm - sein Publikum mit Emotionen und Gefühlen, und bleibt dem Erfundenen gegenüber dabei doch stets im Vorteil, denn seine Gefühle sind nicht gespielt, sie sind authentisch.
Deshalb wird das Interesse am Dokumentarfilm weiter zunehmen. Sein derzeitiger Erfolg im Kino hängt damit zusammen, dass seine großen Chancen im Fernsehen noch gar nicht richtig erkannt sind. Mit einer Flut von Belanglosigkeiten hat das Fernsehen sein Publikum dem dokumentarischen Blick entwöhnt.
Während "dokumentarische Formate" aller Art Hochkonjunktur haben, bleibt der Kino-Dokumentarfilm im Fernsehen nach wie vor auf ein Nischendasein beschränkt. Je stärker man versucht, die Wirklichkeit in den Redaktionsstuben zurechtzuformen, desto stärker wehrt sich ein intelligentes Publikum dagegen und geht ins Kino. Sowohl in den USA als auch in Europa gewinnen die Kino-Filme von Michael Moore und anderen an Bedeutung, denn sie stellen eine Art Gegenöffentlichkeit in einem immer konformeren und immer weniger risikobereiten Medienbetrieb dar. Und unser öffentlich-rechtliches Fernsehen wird auf Dauer nicht umhin kommen, seinen Zuschauern dieses Fenster zu öffnen und dem Kino-Dokumentarfilm einen wöchentlichen Sendeplatz im Hauptprogramm der [ARD](/company/ard-gemeinschaftsprogramm-erstes-deutsches-fernsehen) einzuräumen. Das sind die Programm-Verantwortlichen sowohl den Gebührenzahlern als auch ihrem Auftrag schuldig. Ob den Quoten-Fetischisten das nun passt oder nicht.
[Thomas Frickel](/person/thomas-frickel), Geschäftsführender Vorstand [AG DOK - Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm](/company/ag-dok-arbeitsgemeinschaft-dokumentarfilm)

Branchenstimmen zum Status quo des Dok-Films