Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Wie zufrieden ist UIP mit dem aktuellen Kinojahr?

Paul Steinschulte: Die Rekordzahlen von 2001, für UIP wie für den gesamten Kinomarkt, haben Anlass zur Sorge gegeben, ob das Ergebnis in 2002 wieder erreicht werden kann. Dass wir uns in den ersten sieben Monaten auf so tollem Kurs befanden, hat viele positiv überrascht. Es zeigt, dass sich die vielfältigen Investitionen in Kinos, in die das Publikum gehen will, und in Filme, die das Publikum sehen will, gelohnt haben. Ich hoffe, dass wir auch in diesem Jahr auf einen Wert von über zwei Kinobesuchen pro Einwohner kommen.

BF: Der Kinosommer 2002 hatte seine Tücken. Ist für die UIP alles nach Plan verlaufen?

PS: Wie in den vergangenen Jahren haben wir uns intensiv damit auseinander gesetzt, welche Filme im Sommer Publikum ins Kino bringen können. "[40 Tage und 40 Nächte](/movie/40-tage-und-40-naechte)" haben wir gezielt eine Woche vor der Fußballweltmeisterschaft gestartet und damit eine Überraschung landen können. Das deutsche Ergebnis mit über 2,4 Mio. Besucher ist weltweit eines der besten. Wir beschäftigen uns sehr stark mit konkurrierenden Freizeiteinflüssen und setzen geeignete Filme bewusst dagegen.

BF: Trotzdem hatte der Sommer fast 15 Prozent Minus im Vorjahresvergleich.

PS: Es gibt immer Produkteinflüsse. Mit "[About a Boy](/movie/about-a-boy)" hat sich ein [Hugh Grant](/person/hugh-grant)-Film erfolgreich einsetzen lassen, wie im Vorjahr "Bridget Jones". Wir haben "[Gosford Park](/movie/gosford-park)" bewusst im Juni gestartet - mit einem der besten Ergebnisse für einen Robert Altman-Film. "[Bella Martha](/movie/bella-martha)"ist ein anderes gutes Beispiel dafür, wie lange man einen Film erfolgreich über den Sommer spielen kann. Kino hat zwölf Monate Saison, und wir planen jetzt schon intensiv die Sommer 2003 und 2004. Für Mai 2003 planen wir "Intolerable Cruelty" mit [George Clooney](/person/george-clooney) und [Catherine Zeta-Jones](/person/catherine-zeta-jones), für Juni "[The Fast and the Furious 2](/movie/2-fast-2-furious)", für Juli "The Hulk" und für August 2003 "American Pie 3" als unsere Blockbuster. Zusätzlich werden wir die neue Dreamworks-Zeichentrickproduktion "[Sinbad](/movie/sinbad-der-herr-der-sieben-meere)" für die Sommerferien herausbringen.

BF: Die Bandbreite der UIP-Veröffentlichungen reicht vom Hochschulabschlussfilm bis zum Hollywood-Blockbuster. Wie stellt sich Ihr Apparat den Anforderungen?

PS: Da muss ich einfach einmal mein Team loben. Doris Wolf und ihre Marketingmitarbeiter, aber auch [Oliver Koppert](/person/oliver-koppert) und sein Sales-Team arbeiten hart und sehr effektiv daran, die Marktchancen für Filme zu erkennen und umzusetzen. Ich denke dabei an Filme wie "Billy Elliott" oder "[A Beautiful Mind](/movie/a-beautiful-mind-genie-und-wahnsinn)", der über 2,4 Mio. Besucher hat und wahrlich kein einfaches Thema war. Wir betrachten alle Filme als eine besondere Herausforderung, der wir uns gerne stellen.

BF: Wie läuft die Zusammenarbeit mit [Ottfilm](/company/ottfilm)?

PS: Ich glaube hervorragend. Highlight war in diesem Jahr sicherlich "Bella Martha", und wir bereiten jetzt Projekte für 2003 und 2004 vor. Mit Ottfilm ist eine zusätzliche Farbe in den Angebotskatalog von UIP gekommen, die unser Engagement für lokale Produktion und für den europäischen Film unterstreicht.

BF: UIP bringt auffällig viele britische Produktionen. Wie kommt das?

PS: Eric Fellner und Tim Bevan bilden das erfolgreichste britische Produktionsteam. Sie sind die Gründer von Working Title und mit Universal assoziiert. Sie machen eigentlich keine englischen Filme, sondern Filme mit europäischem Appeal. Das ist eine besondere Kunst, die sie über die Jahre verfeinert haben. Dass wir Teil des Working-Title-Erfolgs sind, macht uns natürlich stolz. Ich würde es nicht als Renaissance des britischen Kinos bezeichnen, aber im europäischen Vergleich produziert man dort erfolgreicher für ausländische Märkte.

BF: Was sind für Sie die UIP-Highlights für Herbst und Winter?

PS: Wir haben ein sehr gutes Line-up. Mit "[Roter Drache](/movie/roter-drache)" verfügen wir über einen Höhepunkt dieses Kinoherbstes: Mit [Anthony Hopkins](/person/sir-anthony-hopkins), [Edward Norton](/person/edward-norton), [Ralph Fiennes](/person/ralph-fiennes) ist das ein top besetzter Hannibal-Lecter-Film, der als Prequel wieder mehr in Richtung von "[Schweigen der Lämmer](/movie/das-schweigen-der-laemmer)" geht. "Changing Lanes - Spurwechsel" mit [Ben Affleck](/person/ben-affleck) und [Samuel L. Jackson](/person/samuel-l-jackson), ist ambitioniertes, gutes Kino aus Hollywood im November, und Anfang Dezember planen wir "[Tuxedo](/movie/the-tuxedo-gefahr-im-anzug)" mit [Jackie Chan](/person/jackie-chan). Aber 2003 geht es gleich stark weiter. Am 2. Januar starten wir "Star Trek - Nemesis", und ich bin von dem, was ich bis jetzt sehen konnte, wirklich begeistert.

Trailer sind das wichtigste Werbemittel

BF: Haben Sie für diesen Film bewusst so früh Trailer eingesetzt?

PS: Trailer sind das wichtigste Werbemittel, das wir haben! Ich weiß, dass viele dieses Thema nicht mehr hören können. Aber ein konzentrierter Trailereinsatz bis zum Filmstart bringt die Leute ins Kino! Wir wollten dem Science-Fiction-Fans frühzeitig zeigen, dass ein Event auf sie zukommt. An "Star Trek" kann man exemplarisch sehen, wie man ein Franchise entwickeln und ausbauen kann. Jedes Sequel bringt mehr Zuschauer als der Film vorher. Wir wollen diesmal eine weitere Steigerung "hinlegen", denn schließlich gehört Deutschland zu den Top drei der "Star-Trek"-Märkte.

BF: Wird der Markt die engen Starttermine von Potter, Bond, "[Herr der Ringe](/movie/der-herr-der-ringe)" und "Star Trek" verkraften?

PS: Die vier besten Franchises starten kurz hintereinander am Jahresende - und ich bin fest davon überzeugt, dass der deutsche Markt das leisten kann. Alle diese Blockbuster werden ihr Potential beim Publikum ausschöpfen können. Schließlich wird es im Januar auf höchstem Niveau weitergehen. Wir werden [Steven Spielbergs](/person/steven-spielberg) "Catch me if you can" mit [Tom Hanks](/person/tom-hanks) und [Leonardo DiCaprio](/person/leonardo-dicaprio) am 16. Januar starten. Am 30. Januar planen wir den ersten Film mit dem Pop-Phänomen Eminem: Regisseur [Curtis Hanson](/person/curtis-hanson) ("[L.A. Confidential](/movie/la-confidential)") ist mit "[8 Mile](/movie/8-mile)" ein großartiger Film um den weißen Hiphop-Star gelungen. [Eminem](/person/eminem) verkauft in Deutschland sensationell viele Schallplatten und polarisiert, das wissen wir. Wir sehen das als eine dieser Herausforderungen und wollen "8 Mile" in Deutschland zu einem großen Erfolg machen. Im Februar folgt mit "[The Ring](/movie/ring)", ganz ungewöhnliches Kino, das von Kennern der Kultvorlage sehnsüchtig erwartet wird. Auch "The Core - Der innere Kern" im Februar sieht phantastisch aus. "[Truth about Charlie](/movie/die-wahrheit-ueber-charlie)" ist die Neuverfilmung von "[Charade](/movie/charade)". Und an Ostern kommt "[Johnny English](/movie/johnny-english)": Das ist unser Bond. [Rowan Atkinson](/person/rowan-atkinson), erfolgreich als Mr. Bean, macht um die Kunstfigur Johnny English aus Werbespots für Barclay Cards einen Spielfilm.

BF: Ist denn die Kinolandschaft gerüstet, um das Besucheraufkommen weiter zu steigern?

PS: Einige Verleihgeschäftsführer haben 1995 das Ziel von 200 Mio. Kinobesuchern formuliert. Und wir sehen uns darin bestätigt. Der Markt hat sich über die Jahre dorthin entwickelt, und ich hoffe auch dieses Jahr am Ende wieder auf ein Plus. Wir haben Foren wie das All-Industry-Meeting entwickelt, wo wir darüber nachdenken, wie wir noch besser werden können? Wir sollten nicht glauben, dass wir bei 180 Mio. Kinobesuchern alle Ziele erreicht haben. Es ist noch Luft da. Mich hat vor zwei Jahren eine Zahl sehr nachdenklich gemacht: 50 Prozent der Sechs- bis Achtjährigen sind noch nie in einem Kino gewesen.

BF: Und was folgt daraus?

PS: Dass wir gerade im Bereich des Familienkinos besser werden müssen. Deutschland liegt hier im europäischen Vergleich nicht vorn. "Shrek" oder "Monsters Inc." laufen anderswo erheblich erfolgreicher. Wir müssen uns fragen, ob die Kinos wirklich den Bedürfnissen der Familien und Kinder entsprechen. Ist das gezeigte Werbeprogramm immer geeignet? Ist die Betreuung der Kinosäle in den Kindervorstellungen gewährleistet? Warum gibt es keine Möglichkeit für Previews von Familienfilmen am Sonntagmorgen etwa? Wir möchten an Verbesserungen im Familienbereich strategisch arbeiten. Die Zahlen von "Harry Potter" oder "[König der Löwen](/movie/der-koenig-der-loewen)" zeigen nur, wie gut man sein kann. Man kann das aber mit mehr Filmen erreichen.

BF: Dazu gehört dann auch das Thema Schule und Film...

PS: Es ist viel lokale Arbeit notwendig, um Lehrer für Kino zu interessieren. Wir haben bei "Billy Elliott" und "[Nichts bereuen](/movie/nichts-bereuen)" Lehrerveranstaltungen organisiert. Wir haben Schulprojektwochen in vielen Bundesländern initiiert und begeisterte Reaktionen darauf bekommen. Es ist nicht einfach, einen Kinobesuch in einen Schultag mit 45-Minuten-Einheiten zu integrieren, aber wir arbeiten daran, dass Kinder aktuellen Filmen im Rahmen des Unterrichts begegnen. Denken Sie nur daran, was Lehrer etwa durch "8 Mile" über die HipHop-Kultur erfahren können.

Gut geführte Einzelkinos unbedingt erhalten

BF: Auf der anderen Seite verliert das Kino seine Zuschauer wieder mit zunehmendem Alter. Woran liegt das?

PS: Filme brauchen vier bis sechs Wochen Laufzeit, bis sie die Klientel der 40- bis 60-Jährigen erreichen. Darauf müssen sich die Kinos in ihrer Programmierungspolitik einstellen. Filme für diese Zielgruppe werden bei drei konkurrierenden Multiplexen möglichst am gleichen Mittwoch abgesetzt. Man muss darüber reden, wie man sie auf dem Programm halten kann, oder wie sich Kinos für diese Zielgruppe positionieren können. 40 Prozent der Kinogänger fühlen sich laut Untersuchungen in den neuen Filmpalästen nicht so wohl wie in traditionellen Kinos. Die gut geführten Einzelkinos in den Großstädten, haben mit einer oder zwei Leinwänden eine Stammkundschaft aufgebaut, die jenseits der Kernzielgruppe der 14 bis 25-Jährigen liegt. Sie gilt es absolut zu erhalten. Und man muss diese Leute intensiver bewerben. Man erreicht sie nicht mit ein, zwei Werbespots. Für "A Beautiful Mind" haben wir nach sechs Wochen noch TV-Werbung gemacht - mit Erfolg. Das Publikum jenseits der 35 ist schwerer zu mobilisieren. Es gibt Untersuchungen, wonach 50 Prozent der Bevölkerung überhaupt nicht ins Kino gehen. Wir müssen uns um diese Leute noch viel stärker bemühen.

BF: Starten zu viele Filme in immer kürzeren Wellen?

PS: Der Wettbewerb zwischen den Filmverleihern in Deutschland ist enorm. Jeder schaut auf seine eigenen Filme und schielt auf die Zahlen der anderen. Manchmal hat man dabei das Gefühl, dass man nicht die Chance hat, Filme optimal auszuspielen. Es bleibt festzustellen, dass die Blockbusterfilme mit Ausnahme der drei Zehn-Millionen-Filme im letzten Jahr, in Deutschland ihr Potential nicht so ausloten konnten wie in anderen Märkten.

BF: Sind zu viele Kopien im Markt?

PS: Man muss auch über konzentrierte Formen der Herausbringung nachdenken. Beim Thema Massenstarts ist fast alles ausgelotet. "Schindler's Liste" oder "[American Beauty](/movie/american-beauty)" haben wir mit viel Bedacht im Markt platziert und dann die Kopienzahl erhöht. Man muss das Produkt in den Mittelpunkt stellen und für jeden Film eine maßgeschneiderte Release-Strategie erarbeiten. "Bella Martha" hat 450.000 Besucher erzielt und hatte seine beste Woche mit nur 32.000 Besuchern. Andere Filme erreichen dasselbe Ergebnis, nur machen sie 250.000 am ersten Wochenende.

BF: Wie schätzen Sie das Problem Kino- und Videopiraterie ein?

PS: Es ist erschütternd zu sehen, was wann zur Verfügung steht, und wir müssen alle in unseren Bereichen die Schwachstellen aufdecken. Das ist natürlich eine Verbandsaufgabe, aber jeder einzelne muss aufpassen, damit mit dem ihm zur Verfügung gestellten Material kein Unfug passiert. Das trifft auf alle zu: Verleihern, Spediteure oder Kinobetriebe.

BF: Geht dadurch Zuschauerpotential verloren?

PS: Das mag bei einigen Themen schon relevant sein. Es führt sicherlich zu einem anderen Denken in Bezug auf Starttermine und einem Umdenken bei der Ausgabe von Material.

BF: Nehmen Day-and-date-Starts dadurch zu?

PS: Ja, und wir sind darauf vorbereitet. Es gibt immer noch regionale Besonderheiten. Aber man kann schon einen Trend zur Harmonisierung der internationalen Starttermine sehen.

BF: Beschäftigt Sie schon das digitale Kino?

PS: Selbstverständlich. Aber ich kenne derzeit keine konkreten Überlegungen ausser den Wünschen einiger weniger, das so schnell wie möglich umzusetzen. Man muss neuen Technologien offen gegenüber stehen. Es ist aber gewiss nicht so, dass das in den nächsten Monaten spruchreif wird.

BF: Wie lautet Ihre Prognose für das Kinojahr?

PS: Ich wäre bei 175 Mio. Kinobesuchern schon zufrieden. Es können aber auch 185 Mio. Besucher werden. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man dieses Ergebnis im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht genug loben kann, denn die ist ja völlig anders. Nur das Ergebnis von 2001 zu konsolidieren, war für viele am Jahresanfang eine "Mission: Impossible". Was mich bedrückt, ist die finanzielle Situation von einigen Marktteilnehmern. Aber auch hier hoffe ich auf eine Konsolidierung, damit wir auch in Zukunft erfolgreich am Produkt arbeiten können. Generell sehe ich die nächsten drei bis fünf Jahre sehr, sehr positiv.

UIP-GF Paul Steinschulte zur Entwicklung im Kinomarkt