Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Warum haben Sie "[Spurwechsel](/movie/spurwechsel)" für Ihr amerikanisches Debüt ausgewählt?

Roger Michell: Ich lese wahnsinnig viele Drehbücher, und was mir an "Spurwechsel" gefallen hat, ist, dass es sich dabei um eine Art Trojanisches Pferd handelt. Auf den ersten Blick erscheint es einem wie ein typischer amerikanischer Thriller. Dann aber wird man sich einer gewissen Skepsis und Doppeldeutigkeit bewusst, die den Film fast schon europäisch wirken lassen. Im Gegensatz zu typischen Hollywood-Filmen gibt es hier keine Schwarzweißmalerei, keine klare Trennlinie zwischen Gut und Böse. Die Figuren sind alle sehr komplex.

"Keine klare Trennlinie zwischen Gut und Böse"

BF: Wie war Ihre Erfahrung, auf amerikanischem Boden mit einem amerikanischen Filmstudio zusammenzuarbeiten? Was hat Paramount von der Ambivalenz des Stoffes gehalten?

RM: Das weiß ich gar nicht
so genau. Paramount hat mich während der Produktion vollkommen in Ruhe gelassen. Das war wirklich sehr angenehm. Der Film wurde von [Scott Rudin](/person/scott-rudin) produziert. Auch er hatte den Mut, sich zurückzuhalten und mich einfach nur drehen zu lassen.

BF: Scott Rudin hält sich als Produzent sehr im Hintergrund. Was ist das für ein Mann - wie ist die Arbeit mit ihm?

RM: Er ist ein ganz außergewöhnlicher Mann. Während unserer Zusammenarbeit hatte er meines Wissens noch sechs weitere Projekte in Produktion. Das war, als der Streik noch drohend über uns hing und alle Welt wie wild gedreht hat. Dieser Mann ist ein echtes Genie mit einer unerschöpflichen Energie und kann sich an das kleinste Detail erinnern, ohne sich jemals Notizen machen zu müssen.

BF: Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

RM: Vor fünf Jahren, nach meinem Film "[Jane Austens Verführung](/movie/jane-austens-verfuehrung)", schickte mir Scott vermehrt Drehbücher. Es waren immer interessante Skripts, aber bei diesem hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich damit etwas Besonderes machen könnte. Nach "Jane Austens Verführung" wurden viele amerikanische Produzenten auf mich aufmerksam, aber "Spurwechsel" war der erste Film, der mich wirklich interessiert hat. Ich gehöre nicht zu den Regisseuren, die unbedingt nach Hollywood wollen. Amerika ist zugleich großartig und widerwärtig. Deswegen war ich sehr vorsichtig in meinem Entschluss, dort einen Film zu drehen.

"Amerika ist zugleich großartig und widerwärtig"

BF: War das ein Kulturschock?

RM: In gewisser Weise schon. Ich hatte vorher schon ein wenig Angst, da ich niemanden von der Crew kannte. Das habe ich extra so gemacht - ein ganz bewusster Sprung ins kalte Wasser.

BF: War es eine bewusste Entscheidung, nach "[Notting Hill](/movie/notting-hill)" nicht nochmals eine romantische Komödie zu drehen?

RM: Eine romantische Komödie kam für mich nicht in Frage. Romantische Komödien sind ausgesprochen schwierig zu drehen und bereiten Kopfschmerzen. Während der Dreharbeiten weiß man nie, ob der Humor letztendlich funktioniert. Es ist eine Plackerei, wenn niemand auf
dem Set lacht und eine Szene zum x-ten Mal wiederholt werden muss. Auch während des Schnitts habe ich nie gelacht und hatte schon richtige Depressionen, bis wir den Film schließlich gezeigt haben und das ganze Publikum losbrüllte.

BF: "Notting Hill" und "Spurwechsel" haben gemein, dass sie von einer warmen Menschlichkeit gekennzeichnet sind.

RM: Ja, das ist auch das, was mich an Filmen und der Kunst ganz allgemein interessiert: das Menschliche. Der Film hat keine Botschaft und belehrt auch nicht. Vielmehr sagt er aus: Menschen lassen sich nicht so einfach in Gute und Böse einteilen. Vielleicht ist der Film gerade deswegen so gut in Amerika angekommen. Der Erfolg hat mich sehr gefreut - nicht nur für mich selbst, sondern weil ich hoffe, dass er die Türen für andere Filmemacher öffnet, die einen etwas doppeldeutigen Film mit einem Studio-Budget drehen möchten.

Doppeldeutiger Film mit Studio-Budget

BF: Wie hoch war das Budget?

RM: Etwa 60 Mio. Dollar.

BF: Seitdem haben Sie den Low-Budget-Film "[Mother](/movie/mother)" für die BBC gedreht - wieder ein Kulturschock?

RM: Ja, das war interessant - das Budget für diesen Film war 2,1 Mio. Euro. Ein echtes Kontrastprogramm, wie eine Art Reinigungsprozess. Ich mochte das Drehbuch und arbeite einfach gern in London. Ich will Filme über mich und meine Umgebung machen.

BF: Was kommt als Nächstes?

RM: Ich werde ein Theaterstück am National Theatre in London inszenieren. Und nächstes Frühjahr kommt wahrscheinlich mein nächstes großes Filmprojekt - hier in Europa, wahrscheinlich mit einem Studio.

Regisseur Roger Michell zu "Spurwechsel"